Es war schon zu erwarten - und doch ist es der traurige Verfall der Achtung vor wissenschaftlicher Leistung, der nun hinter der fadenscheinigen Erklärung dafür steht, warum der Doktortitel nunmehr nicht mehr in Personaldokumenten an prominenter Stelle, nämlich vor dem Nachnamen, erscheinen soll.
Nach Jahren der Demontage der Stellung von Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung durch Demagogen, deren dreistufige Vorgehensweise¹ stets durch Wissenschaft und entsprechende Bildung der Bevölkerung erschwert wurde, ist es nun den Ungebildeten und oft noch nicht einmal mit abgeschlossener Schulbildung ausgestatteten Volksvertretern ein Anliegen die letzte Bastion der herausragenden Wissenschaftsleistung zu schleifen: Die Doktorarbeit die zum Doktortitel führt wird nicht mehr gewürdigt - man versteckt sie irgendwo auf dem Ausweisdokument .... und es ist jetzt schon klar, dass sie in wenigen Jahren völlig verschwinden wird.
Wenn jeder Laie in den Medien die heute jedem zur Verfügung stehen und der ein Mobiltelefon hat, damit Text verfassen und Bilder speichern kann, sich der Allgemeinheit präsentieren kann entsteht bei diesen Personen der Eindruck eigener Bedeutsamkeit. Da liest man Blogtitel wie "Alles ist wahr", und das ist ein Symptom des gesellschaftlichen Verfalls, denn die Beliebigkeit von Wahrheit zu propagieren heißt Wissenschaft zu leugnen - weil Wissenschaft für Alle gilt, in sich 'wahr' und nicht diskutabel ist.
Weil nur 'mitreden' kann wer etwas zu sagen hat, wird mit einfacher, aus der Luft gegriffener Darstellung "Alles" als "wahr" erklärt. Dadurch, dass man jedem Individuum zuschreibt eine eigene Wahrheit zu haben, die als gleichwertig zu der von der Wissenschaft gefundenen unumstößlichen Wahrheit² abweichen darf - doch als solche zu betrachten sei.
In meiner Lebenszeit habe ich beobachten können welcher Veränderung die höhere Bildung in unserem Land unterworfen wurde:
1. Die Abschaffung der "Zulassungsprüfung" für den Übergang von Schülern in die Gymnasien; die Argumentation war - wen wundert es, auch Kindern aus Nicht-Akademiker-Haushalten eine höhere Bildung zu ermöglichen. Ein Schein-Argument, denn gerade die Prüfungen für den Übergang waren nicht an soziale Kriterien gebunden und so manches Arzt- oder Lehrerkind fiel bei diesen Prüfungen durch.
2. Die Umgestaltung der Anforderungen, was zu lernen war, durch frühe Aufteilung in sprachlichen und naturwissenschaftlichen Zweig; mithin eine Vermeidung generalisierter Bildung, die den Absolventen eine breitere Perspektive ermöglicht hätte - und den Regierenden, oft wenig gebildeten Politikern, die allzu durchsichtigen Argumente zunichte zu machen in die Lage gekommen wären.
3. Die Einführung von Gemeinschaftsschulen um den vermeintlichen 'Druck' auf Schüler mit nicht-konformer Leistung zu verringern; in Wahrheit war das eine Maßnahme auch mittelmäßigen Schülern den Weg in eine akademische Ausbildung zu bahnen - weil diese Schicht den Aufstieg denen später durch Wohnverhalten dankte, die ihn ermöglicht hatten. Die erste SPD geführte Regierung nach dem Krieg war genau die, die den 'Dank' verbuchen konnte.
4. Die Reduzierung der 'schweren' Fächer (Mathematik, Latein, Physik, Chemie, Biologie) zu Konglomeraten mit Name "Naturwissenschaft" und verminderter Stundenzahl; die gleichzeitige Senkung der Anforderungen für mittlere Reife konnte nur dadurch bewerkstelligt werden, dass man auch das Niveau der Gymnasien senkte und so die Relationen erhielt.
5. Die Ermöglichung der Abwahl von Fächern und Zusammenstellung eigener Fächerkombinationen die bis zum Abitur gewählt werden mussten. Der Druck der Mittelschicht ihre Kinder in die höheren Lehranstalten zu schicken um ihnen eine 'bessere Zukunft' zu verschaffen, brachte schließlich Abiturienten hervor die Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen abgewählt haben und mit Sport, Musik und Kunst Abitur machten.
6. Die Gleichstellung vormaliger Fachhochschulen und Akademien brachte schließlich - ohne Leistungssteigerungen - mehr halbgebildete *Akademiker* hervor, und erlaubte im Gegenzug der Wirtschaft das gesamte Gehaltsniveau neu zu definieren und eine weitere Abwertung akademischer Vorbildung in der Vergütung zu erreichen.
7. Die Abschaffung der vormaligen Universitätsabschlüsse Magister und Diplom und Absenkung der Anforderungen nach internationalem Muster zu Bachelor und Master Studiengängen, die, weitgehend verschult, die Studierenden in solche Zeit- und Arbeitszwänge brachten, dass eine breitere Allgemeinbildung durch Wahrnehmung von sonstigen Studiengebieten als Gasthörer unmöglich wurden.
Diese Kapitulation vor einem US-geführten System mangelhafter akademischer Tiefe, abgestimmt auf 'for-profit' akademische Ausbildungsstätten, in denen durch Zergliederung ein akademisches Proletariat (Bachelor), ein besser gestellter Mittelbau (Masters) und nur für finanzkräftige Studenten aus ebensolchen Kreisen eine akademische Pseudo-Oberschicht erzeugt wird. Die tatsächlichen Spitzenkräfte wurden und werden noch mit finanziellen Lockmitteln und großzügiger Ausstattung an Personal und Material aus dem Ausland angelockt und dann als *Amerikanische Wissenschaftsleistung* der Welt präsentiert. Der Nutzen für die USA ist zweifach: Das wissenschaftliche Potenzial anderer Staaten wird geschwächt, das eigene Potenzial gestärkt. Ein "win-win" auf US Art!
Das wesentliche Problem bei all den Veränderungen in den letzten 60 Jahren ist nicht der Verlust an Ansehen und Privilegierung gut ausgebildeter und leistungsstarker Akademiker, sondern die gleichsinnig verlorene Achtung vor wissenschaftlicher Leistung und Ergebnissen der Wissenschaft³. Das in breiten Schichten Bürger, die daraus nun in der heutigen Zeit die verkehrten Schlüsse ziehen:
Wissenschaftliche Befunde werden als *beliebig* eingeschätzt⁴. Das Bewusstsein dafür, dass es unumstößliche Erkenntnisse gibt die keine Diskussion, sondern bedingungslose Akzeptanz erfordern, ist beim überwiegenden Teil der Bevölkerung verloren gegangen. In diese *Lücke* haben sich Demagogen eingenistet, die mangelhaftes Wissen und Urteilsfähigkeit für ihre Zwecke nutzen und so den Diskurs in der Öffentlichkeit bestimmen.
¹ Erfinde einen Sündenbock - Lüge was das Zeug hält - Steigere ins Radikale bei Eindämmungsversuchen
² Siehe hierzu → "Der Glaube an Verschwörungsvorstellungen diskreditiert rationales Argumentieren"
³ Siehe weiter → ... eine wissenschaftliche Grundeinstellung ...
⁴ Noch mehr zum Thema → Mit Wissenschaft tun sich selbst Wissenschaftler schwer
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