"Die christlichen Lebensregeln von Johann Rittmeyer" († 1698),
die hier in voller Länge zitiert werden:
4. Heuchle nicht vor dir selber, prüfe ernstlich dein Gewissen und schiebe es nicht hinaus, bis du etwa von einer schweren Todeskrankheit überfallen wirst, sondern denke beizeiten daran, wo du deine ewige Bleibe aufschlagen wirst.
5. Wer des Morgens denkt, er werde den Abend gewiß erleben, und des Abends denkt, er werde den Morgen gewiß erleben, der wandelt in großer Blindheit und Sicherheit.
6. Wer seine guten Werke guten Werke und seine Buße und Bekehrung auf morgen verschiebt, der handelt ebenso klug, als wenn er ein fröhliches Mahl auf gestern ansetzen wollte, denn er hat dann an dem einen eben so viel als an dem anderen.
7. Gedenke, daß deine edle Seele wie ein kleines Vögelchen ist, das sich gerade da auf die Erde setzt, wo ihm hundert Netze gelegt sind, unter denen es nicht sicher sein kann, es sei denn es flöge auf in die Luft. So mußt du auch dein Herz nicht auf die Erde, sondern zum Himmel hin lenken, wenn du deine Seele erhalten willst.
8. Wenn du in dir den Willen zur Bekehrung merkst und hast, so denke daran, daß dies die Stimme des getreuen Erzhirten Jesu Christi ist, der dir als sein verlorenes Schäflein in dein Gewissen ruft; wirst du diese verachten, dann siehe zu, daß du nicht von ihm verachtet werdest.
9. Gutes zu tun verschiebe nicht auf dein Alter, sondern opfere Gott deine blühende Jugend. Denn einem jungen Menschen ist nicht versichert, daß er alt werde. Einem Unbußfertigen aber ist sein Verderben mehr als gewiß.
10. Bedenke, daß dir der Tode alle Augenblicke näher auf den Leib rückt, daß du das Endurteil und den Spruch des ewigen Gerichts unweigerlich anhören mußt und daß du keine Minute sicher bist, vor dasselbe gefordert zu werden.
11. Tue keinem Menschen zu Gefallen etwas Böses, denn sie können dich nicht erretten, wenn dich Gott deswegen verurteilen wird.
12. Laß kein Ding, wie gering oder wie groß es ist, dein Herz mit Unrecht an sich zu bringen suchen, damit nicht die Wurzel allen Übels dadurch in die Frucht bringe, durch welche alles andere Gute erstickt wird.
13. Wer du auch seist, denke daran, daß du nur ein Diener und Haushalter bist, und daß von dir nichts mehr begehrt wird, als daß du treu erfunden werdest.
14. Lege dich niemals schlafen, ohne daß du dich geprüft hast, ob du an diesem Tage in der Gottseligkeit zu- oder abgenommen hast.
15. Auf dem Wege des Herrn still zu stehen, ist dasselbe wie zurück zu gehen. Daher prüfe dich und bedenke, daß umsehen und zurückgehen auf dem schmalen Weg des Lebens sehr gefährlich ist.
16. Sei in deinem Tun gegen jedermann freundlich, aber niemanden mit Absicht beschwerlich.
17. Vor Gott sei demütig und ehrerbietig, bei dir selbst keusch, nüchtern und maßvoll, anderen Menschen gegenüber von Herzen aufrichtig, so wirst du allenthalben durchkommen.
18. Bilde dir nicht ein, du seiest geschickt, etwas Besonderes auszurichten, denn Eigendünkel hat schon Viele verführt.
19. Strebe danach, dem Ernst der Welt, deiner eigenen Fehlsamkeit und dir selbst abzusterben, so wirst du im Leben Gottes zunehmen.
20. Laß deine Barmherzigkeit in Liebe, deine Freundlichkeit in Gebärden, deine Demut in der Kleidung, deine Geduld in Verfolgung und deine guten Sitten im Umgang aus dem Licht deines Herzens kund werden und herausleuchten.
21. Gedenke und bereue drei vergangene Dinge: Das begangene Böse, das unterlassene Gute und den unwiederbringlichen Schatz der unnütz verschwendeten Stunden.
22. Betrachte diese drei gegenwärtigen Dinge: Die Kürze und Ungewißheit des zeitlichen Lebens, die drohende Gefahr für die Seele und, daß es so wenige sind, die solche Gefahr achten oder mit Ernst danach trachten, ihr zu entkommen und selig zu werden.
23. Überlege diese drei zukünftigen Dinge, die ganz gewiß und unweigerlich kommen werden: Den Tod des zeitlichen Lebens, das Urteil und Gericht über all dein Beginnen und die ewige, höllische Pein der Verdammten.
24. Folgende drei Dinge laß zu keiner Zeit aus deinem Gedächtnis kommen: Das Auge, das alles sieht, das Ohr, das alles hört, und das Buch, in dem alles geschrieben wird.
25. Dreierlei nimm deinem Nächsten gegenüber wohl in Acht: Denke nicht leicht von jemanden etwas Böses. Rede nicht gern, wenn du etwas Böses weißt, das du mit gutem Gewissen verschweigen kannst. Höre nicht gern und leihe dein Ohr demjenigen nicht, der etwas Böses von jemanden sagen will, das du von Amts wegen nicht hören mußt. So wird viel Unheil und Verleumdung verhütet werden.
26. Der Obrigkeit und den Mächtigen dieser Welt gegenüber - auch den Wunderlichen und Eigennützigen - beweise Gehorsam in allen äußeren Dingen, die nicht gegen Gott und das Gewissen verstoßen.
27. Sei barmherzig und hilfreich an deinem Nächsten, wenn es ihm nötig ist, und sei bescheiden gegenüber den Niedrigen und Armen.
28. Die zeitlichen Güter und Reichtum dieser Welt achte gering. Hingegen trachte mit herzlichem Ernst nach den ewigen Gütern und, wie du reich in Gott sein mögest. Bedenke, daß ein Quentlein geistlicher und ewiger Güter mehr zu schätzen ist als tausend Zentner irdischer Güter, denn diese vergehen mit uns, jene aber bleiben in Ewigkeit.
29. Überdenke oft deine begangenen Sünden, damit du betrübten Herzens in eine göttliche Traurigkeit geraten und des Trostes heiligen Geistes fähig werden mögest.
30. in allem, was du tust, bedenke, ob du es auch tun würdest, wenn du sofort abscheiden und es vor dem Richterstuhl Christi verantworten solltest.
31. Suche von dem Dienst der Welt loszukommen, ehe du von ihr belohnt wirst, und begib dich zu dem Dienst des Herrn, denn dem zu dienen heißt die edelste Freiheit zu genießen.
32. Bedenke, daß die Keuschheit in großer Gefahr steht, wo man Speisen und Getränke im Überfluß hat, wie auch die Demut in Reichtum und die Gerechtigkeit beim Kaufhandel schwer zu retten ist.
33. Bitte Gott von Herzen, daß er deine begangene Missetat bedecke und dich künftighin allezeit regiere.
34. Befleißige dich in deinem Tun so zu sein, wie du vor den Leuten erscheinen willst, denn Gott urteilt nicht nach dem Schein, sondern nach dem Sein und nach der Wahrheit.
35. Meide die vielen Worte und erschrick von Herzen, wenn du bedenkst, daß du von einem jeden vergeblichen Wort Rechenschaft ablegen mußt.
36. Bedenke, daß deine Werke, wie sie auch seien, nicht sofort vergehen, sondern dir nachfolgen, und daß sie hier auf Erden als Samen der Ewigkeit gesät werden.
37. Wenn du fühlst, daß es dein Herz erfreut und inwendig kitzelt, wenn du gelobt wirst, so gieße unverzüglich Wasser auf das höllische Feuer, das sich in deiner Seele entzündet hat.
38. Nach dem Tode wird dir deine Ehre, Hoheit, Reichtum, Überfluß und das Wohlleben der Welt nicht nachfolgen, sondern das, was du hier getan hast, es sei Gutes oder Böses. Daher bedenke wohl, was du dir vom Guten für die Ewigkeit sammelst.
39. So wie du vor Gottes Gericht zu erscheinen gedenkst, so erscheine heute in deinem Gewissen vor seinem Angesicht. Kannst du aber in der Probe vor dir selber nicht bestehen, mit was für einem Herzen willst du vor Gottes Gericht gehen? Oh, bedenke es wohl!
40. Die Zeit ist höher einzuschätzen als die Ewigkeit, denn mit einem wohlangelegten Stündlein Zeit kann die ganze Ewigkeit, mit aller Ewigkeit aber nicht eine Minute Zeit erkauft werden.
41. Lerne sterben, solange du lebst, so wirst du auch, wenn du stirbst, leben können. Und wer täglich stirbt, wird gerne einmal sterben.
42. Hier ist eine Zeit, Gutes und Buße zu tun. Dort aber ist nichts als Belohnung und Vergeltung des Guten oder Bösen zu erwarten.
43. Betrachte wohl, o Mensch, all dein Beginnen, es seien Gedanken, Worte oder Werke. Dies wird dich zur Erkenntnis deiner selbst bringen. Erkenntnis deiner selbst wird dir deine angeborene Unart, Finsternis und Schalkheit des Herzens zeigen. Dies zu sehen wirkt Unruhe des Gewissens; Unruhe des Gewissens bringt Haß und Verleugnung des Selbst und alles dessen, was gegen Gott ist, hervor. Hierdurch wird das Herz ausgeleert und ganz geängstigt und in sich selbst zerschlagen. Ein ausgeleertes, geängstigtes und zerschlagenes Herz aber kann Gott mit seiner Gnade zu erfüllen nicht unterlassen, noch trostlos verwerfen.
44. Der beste Weg vorwärts zu kommen ist dieser: Daß der Mensch die Anfechtungen, Bewegungen und Versuchungen seines Fleisches scharf wahrnehme und sich darin verleugne.
45. Nicht wer am meisten weiß, sondern wer am meistens liebt, kann den sündlichen Anfechtungen am kräftigsten widerstehen.
46. Je mehr die dich Welt haßt und je weiter du von ihr abgeschieden bist, desto angenehmer bist du Gott, deinem Herrn.
47. Wer für das Empfangene nicht von Herzen dankbar ist, ist auch nicht würdig, mehr zu empfangen.
48. So oft dir ein Glück zustößt, nimm es für eine Probe, die Gott dir auflegt, und für eine Ursache, ihn dafür zu loben und ihm zu danken. So oft dir aber ein Unglück zustößt, so nimm es als ein Mittel zu deiner Buße, Besserung und künftiger Vorsicht an.
49. Die Kräfte deiner Macht erweise in Hilfe an den Elenden. Die Kräfte deiner Weisheit erweise darin, andere zu dulden und zu unterweisen. Die Kräfte deines Reichtums im Wohltun an den Bedürftigen.
50. Durch Unglück laß dich nicht schrecken noch zaghaft machen. Glück mache dich nicht Kühn und stolz.
56. Gewöhne dein Herz an ständige Stoßgebete und heimlichen Seufzern, die du in allen deinen Beginnen, auch mitten unter deiner Arbeit zu Gott schickst, so wirst du manche Not aus dem Weg stoßen und manchen Segen Gottes zu dir herunter holen.
57. Suchst du etwas anderes als einzig und allein Gott in und vor allen Dingen, so wirst du in Zeit und Ewigkeit nichts finden.
58. Vertraue Gott, so bist du versichert, daß er dir in der allergrößten Not am allernächsten ist.
59. Die größte Furcht, die dich oder irgendeinen Menschen betreffen kann, soll sein: Gott nicht zu verlieren.
60. Die Bekehrung ist die erste Pforte und ein heiliges Leben ist der Weg zum Himmel. Obwohl nun diese Pforte enge und der Weg schmal ist, so wird doch das glückselige Ende alles bezahlen.
61. Siehe zu, was du tust, und wisse, daß es unmöglich ist, Gottes und der Welt Freundschaft auf einmal zu genießen.
62. Wer die Freude des ewigen Lebens mit einem zehn- oder zwanzigjährigen Wohlleben dieser Welt verwechselt, der muß sich fürwahr nicht wohl auf den Kaufhandel verstehen.
63. Denke, daß du diesen Tag nicht recht verbracht hast, an dem du kein Unrecht um der Liebe Gottes willen mit Geduld erlittest.
64. Denke daran, daß prunkvolle Kleider Netze und Fallstricke des Teufels sind, mit welchen zu prangen (weil sie ja Zeugnisse unserer Blöße und unseres Abfalls von Gott sind), es die gleiche Bewandtnis hat, als wenn ein vom Galgen entlaufener Dieb mit dem Strick prahlen würde, ja, daß es eine der unsinnigsten Torheiten ist, mit solcher Eitelkeit den Zorn Gottes nicht allein in der Seele, sondern auch über ganze Städte zu erwecken.
65. Haß mit Liebe zu vergelten, gute Werke mit Demut zu üben und das Unrecht zu leiden, muß unwidersprechlich bei einem wahren Christen sein
66. Ein wahrer Christ hält das Leben für nichts anderes als für eine Gelegenheit Gutes zu tun und den Tode für ein Ende seiner Arbeit zu achten.
67. Betrübe dich nicht, daß dich Gott wegen deiner Sünde züchtigt und straft, sondern allein darum betrübe dich, daß du gegen einen so gütigen Herrn und Gott gesündigt hast. Bedenke, daß Gottes Wohltaten und deine Sünde übergroß und unzählig sind, dahingegen dein Wohlverhalten und seine Züchtigungen sehr geringe.
68. Wirst du Gott zu Gefallen deinen Willen zähmen und brechen, so wird Gott dir zu Gefallen den Willen deiner Feinde ganz zunichte machen.
69. Was dir an der Übung der Gottseligkeit hinderlich sein kann, das mußt du mit großem Fleiß vermeiden, alle weltliche, liederliche Gesellschaft fliehen, mit weltlich gesinnten Herzen ohne Not dich nicht vermengen, der Welt Freude für Torheit halten und dagegen dich zu gottseligen Leuten dich gesellen und allenthalben Besserung und Erbauung deines Christentums suchen.
70. Laß dich gerne erinnern und strafen, und wenn dein Nächster dir deine Fehler freundlich zur Besserung vorhält, so nimm es mit Dank an. Gott will damit uns locken, daß wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder, auf daß wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater.
71. Bitte Gott für den Stand der Obrigkeit, besonders zu den jetzigen Zeiten, daß Gott sie mit seinem Geist regiere und daß sie sich auch von ihm regieren lasse, damit Friede und Gerechtigkeit erhalten werden möge, bis das Wesen dieser Welt völlig zu Staub zerfalle. Denn wo nicht eine Macht von Gott wäre, die der Bosheit etwas Einhalt täte, so würden die Menschen selber einander lebendig auffressen.
72. Wer mit Willen und Belieben bösen, unnützen Gedanken nachhängt, der öffnet die Tür seines Herzens dem Teufel, damit derselbe seine Seele besitze.
73. Niemand ist weise als der sich selber für albern hält und auch von dem Geringsten zu lernen begehrt. Niemand ist würdig, geehrt zu werden, als derjenige, der Gott über alles fürchtet, ehrt und liebt, sich selber geringer als ein Erdenwürmlein hält.
74. Verachte keinen Menschen, denn du weißt nicht, ob du ihn nicht noch benötigst. Es ist ja nichts so geringe, es kann zu etwas nutzen.
75. Freue dich nicht, wenn es denen, die dich hassen, übel ergeht, denn der Herr sieht es und solches ist ein Greuel in seinen Augen.
76. Gewöhne dich mit Ernst an das Stillschweigen (besonders da, wo es nicht nötig ist zu reden), denn das Reden hat so wohl seine Zeit als das Stillschweigen. Solches ist eine allgemeine Arznei und eine Vorsorge vor vielem Unglück und ein bewährtes Hilfsmittel zum Frieden und der Ruhe des Gemüts.
77. Willst du andere belehren, so tue selber das, was du lehrst, denn sonst bist du ein Verführer und machst, daß die Leute mehr sündigen.
78. Vertraue dem keine Heimlichkeiten, der seine eigenen Heimlichkeiten nicht verschweigen kann.
79. Wessen Mund gerne von schändlichen, unzüchtigen und unbilligen Sachen redet, dessen Herz und Wille ist gewiß auch so gesinnt, dergleichen zu vollbringen.
80. Rede keine Lügen, ob sie dir wohl scheinen gütlich zu sein, denn sie werden dir künftig unfehlbar Schaden bringen. Der Mund, der vorsätzlich Lügen redet, tötet die Seele. Befleißige dich aber der Wahrheit, auch wenn du meinst, daß sie dir jetzt schädlich sein könnte, denn sie wird dir zu ihrer Zeit zu großem Nutzen gereichen.
81. Wenn dein Freund auch von reinem Honig wäre, sollst du ihn doch nicht zu essen begehren oder seine Güte mißbrauchen.
82. Solange sich einer vom Zorn einnehmen und überwinden läßt, ist er einst auch nicht für einen Menschen, geschweige denn für einen Christen zu achten.
83. Traue dem nicht, der dir schmeichelt, sondern wisse, daß der, der Weise hat, dir zu liebkosen, der hat auch die Weise, dich bei einem anderen anzuschwärzen.
84. Gottes Eigenschaft ist es, aus nichts etwas zu machen. Darum: Soll Gott etwas mit uns, in uns machen, so müssen wir zuvor zu nichts geworden sein.
85. Gott liebt nichts in uns als seine eigene Güte, die er in uns wirkt, auch wird nichts von Gott belohnt oder gekrönt als sein eigenes Werk, das er in uns verrichtet.
86. Alle gute Gaben kommen von oben herab: Wer nun von oben herab etwas empfangen will, der muß sich notwendig unten oder in niedrigster Demut des Herzens befinden.
87. Laß Gott in deiner Seele wirken, denn ein einziges Werk, das Gott in dir wirkt, ist unvergleichlich besser und edler als alles, was alle Welt von Anbeginn gewirkt hat.
88. Keinen Tag laß vorüber gehen, an welchem du nicht ein Werk der christlichen Liebe an deinem Nächsten beweisest und am Abend dich dessen erinnerst.
89. Weil Christi Werke unsere Lehren sind, so nimm dir vor, jeden Tag ein Wort oder Werk Christi zu betrachten.
90. Alle Tage nimm dir vor, gegen eine bestimmte Sünde anzukämpfen, und rufe Gott um Hilfe an. Alle Abend danke Gott, wenn du so gekämpft hast, wo aber nicht, so bitte Gott um Vergebung.
91. Wenn wir Christi Miterben sein dürfen, ist es nicht genug, daß wir uns grober Sünden enthalten, wir müssen uns auch je mehr und mehr von der Welt unbefleckt behalten.
92. Laß deine tägliche Übung sein: Andächtig beten, fleißig arbeiten und Gott vertrauen.
93. Die Weisheit von oben her ist aufs erste keusch, danach friedsam, gelinde, läßt sich sagen, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ohne Heuchelei. Danach prüfe dich.
94. Ein gewisses Kennzeichen, daß man den heiligen Geist hat, ist, wenn man sanftmütig ist, ruhig und von sich selbst nicht mehr hält als sich's gebührt zu halten, und von aller eitlen Lust der Welt sich absondert und sich allezeit herunterhält.
95. Willst du, wenn dir zweifelhafte Dinge vorkommen, Gottes Willen wissen, was zu tun oder zu lassen ist, so nimm wohl wahr, wovor deine Natur am meisten Grauen hat. Dies wähle getrost als das sicherste und beste, was Gott von dir getan haben will.
96. Trachte danach, in deinen Augen der Kleinste zu werden, denn die Größe und Höhe eines Christen besteht nur in seiner Demut und Niedrigkeit.
97. Deine höchste Glückseligkeit suche in einem ruhigen Herzen und reinem Gewissen, denn anders kannst du nicht zur Gemeinschaft Gottes gelangen.
98. Sei ruhig und zufrieden in allem, was Gott (außer deinem eigenen Verschulden) dir schickt und geschehen läßt, denn es geschieht zu deinem Besten, ob du das gleich nicht erkennen kannst. Gedenke, daß seine Regierung und Schickung die allergerechteste, nützlichste und beste ist, ob sie dir gleich des öfteren hart erscheint.
99. Verhalte dich gegenüber einem jeden so, wie du willst, daß dich ein jeder dir gegenüber verhalten soll, und tue jedermann das, was du verlangst, dir getan zu haben.
100. Summa, trachte in wahrer Gelassenheit allein nach dem, was droben ist, da Christus ist, nach dem Reich Gottes in deiner Seele, welches besteht in der innerlichen Ruhe der Seele, reinem gewissen, Vergnügung des Herzens, unbeflecktem Gemüt, das ist: In Friede und Freude des heiligen Geistes. Oder: Mit einem Worte Gottes, in der Liebe Gottes, wie solche in Christo Jesu, unserem Herrn ist. Amen.
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