Verschiedentlich wird in Weblogs die Frage aufgeworfen, inwieweit "förmliche Bildung" - worunter eine durch staatliche Stellen (Hochschule, Fachhochschule, Kunstakademie etc.) abgenommene, also "akademische" Prüfung verstanden wird - nötig oder nützlich ist.
Lassen Sie mich vorab eine Feststellung machen:
Es ist für den "Wert" eines Menschen unerheblich, ob jemand eine solche Prüfung absolviert hat oder nicht. Prüfungen sagen nichts über den Charakter der/des Titelträgerin/Trägers aus. Der "Wert" eines Menschen bestimmt sich alleine durch seine Handlungen.
Dies vorweggeschickt, komme ich nun zurück zur Eingangsfrage:
Was oder wem nützt eine akademische Bildung?
ad 1:
Berufsausübung
Für verschiedene Berufe ist eine abgeschlossene Hochschulausbildung zwingend gefordert. Die Frage, ob dies für einige Berufe noch zeitgemäß ist, sei dahingestellt - Tatsache ist jedoch, daß Jenen, die sie nicht aufzuweisen haben, solche Berufe verschlossen sind.
Das wirft zwei Probleme auf.
Zum Einen das Problem der sozialen Einstufung(a), die gemeinhin mit der Tätigkeit in direktem Verhältnis steht;
zum Anderen das Problem des Selbstwertgefühles(b) derjenigen, die von einer solchen Regelung betroffen, ja, aus eigener Sicht "benachteiligt" sind.
zu 1(a)
Soziale Einstufung:
Es ist unbestritten ein Mangel unseres Systems, die soziale Stellung von der beruflichen Tätigkeit her zu bestimmen.
"Amtsträger" sind so üblicherweise nicht nur im Amte priviligiert, sondern auch in ihrer Privatsphäre. Sie erfahren eine Sonderbehandlung (sprich: Besserbehandlung) gegenüber den Nicht-Amtsträgern.
Dies erscheint zumindest unpassend, denn - um ein Beispiel zu nennen - wenn ein Bürgermeister ohne offizielle Funktion z. B. ein Schützenfest besucht, hat er sich für ein Getränk genauso anzustellen wie jeder andere Festplatzbesucher auch.
Bekannt ist aber, daß dies nicht so passiert, weil
entweder der Amtsinhaber sich priviligiert fühlt - und entsprechende Sonder-Behandlung erwartet,
oder die Umgebung - in typisch deutscher Manier des "vorauseilenden Gehorsams" - alles daran setzt, vermeintliche "Hindernisse" aus dem Weg zu räumen.
Es ist daher an der Zeit, eine klare Unterscheidung nach Amtsfunktion und Privatfunktion - in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation - zu fordern und "falsche" Privilegien von falschen Autoritäten, die mit dieser Teilung verbunden sind, endgültig aufzuheben.
zu 1(b)
Selbstwertgefühl:
In einer Gesellschaft, in der zunehmend auf die Initiative der/des Einzelnen gesetzt wird, ist es ein Anachronismus den gleichen Menschen die Entscheidungsbefugnis für Ihre Handlungen zu verwehren. Denken, Planen und Entscheidung fällen müssen untrennbar verbunden sein.
Die derzeitige Situation in Wirtschaft und öffentlichen Institutionen macht jedoch aus "mündigen Bürgern" während der Arbeitszeit "unmündige Befehlsempfänger". Insoweit sind nicht nur jene Menschen betroffen, die ohne akademische Ausbildung einem Beruf nachgehen, sondern alle Berufstätigen!
Der Unterschied liegt jedoch in der selbstempfundenen Wertigkeit. Bei denjenigen, die keine akademische Vorbildung haben, kann eine Tendenz zu Minderwertigkeitsgefühlen eher beobachtet werden, als bei denen, die durch eine Hochschulausbildung gelernt haben, falsche Autoritäten zu erkennen und sich angemessen distanziert zu verhalten.
Dieses Verhaltensrepertoire fehlt den Nicht-Akademikern. Gleichwohl haben sie ein Unterlegenheitsgefühl, wissen aber mangels angelernter Abwehrmechanismen nur um ein begrenztes Lösungsverhalten. Hier finden sich dann die Tendenzen (= Verhaltensmuster) zu aggressivem oder anderweitig situativ abweichendem, unpassendem Verhalten. Die um sich greifende "Wissenschaftsfeindlichkeit" - gerade beim Thema "Globale Erwärmung" in den U.S.A. sehr gut zu beobachten - steht auf einer breiten Basis der Akzeptanz durch minder gebildete Menschen die "Meinung" mit "Fakten" verwechseln bzw. nicht auseinander halten können.
Die Ohnmacht gegenüber einer als übermächtig empfundenen Umgebung schafft sich oft Raum durch Zerstörung öffentlichen oder privaten Eigentums, ungezügelte Aggression oder Autoaggression, bis hin zum Suizid.
Mangelhafte Bildung, oft schon in frühem Kindesalter durch uninteressierte Eltern vor- bzw. mitbestimmt, stellt daher eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft dar. Wesentlich ist hierbei, die grundsätzliche Ermöglichung von Bildung nach Fähigkeit, nicht nach sozialer Herkunft.
Dabei darf die Tatsache nicht verschwiegen werden, dass es Leistungsunterschiede zwischen den Bildungswilligen gibt, die sich naturgemäß auf spätere Lebenswirklichkeit, sprich Möglichkeiten der Berufsausübung auswirken werden.
Wie so oft wird das allerdings von Vielen ignoriert. Es ist natürlich sehr viel leichter Allen Alles zu versprechen - anstatt wahrheitsgemäß darauf hin zu weisen, dass nicht jedes Kind super intelligent ist und das Zeug zum Nobelpreisträger hat - und so steht diese Forderung nach der Berücksichtigung einer (fiktiven) Gleichheit im Intellekt, gefördert und herausgelockt durch die Schulen, wie ein lästiges Gespenst im Raum und verlegt die Chancen auf wirkliche Lösungen.
Einfach und kurz ausgedrückt:
Zu Beginn sollen ALLE die gleichen Chancen haben. Unterschiedliche intellektuelle Fähigkeit führt jedoch zu einer Differenzierung im Lauf des weiteren Lebens.
ad 2:
Berufserfahrung
Während ihres Lebens erlernen viele Menschen Fertigkeiten, die sie in der Vorstellung bestärken, etwas genausogut oder möglicherweise besser zu können, als eine andere Person, die das Fachgebiet studiert hat. Für Teilbereiche ist das sicher zutreffend – aber eben nur für Teilbereiche, nie für ein komplettes Fachgebiet!
Ein Matrose kann sicher erlernen, wie man ein Schiff steuert. Er kann auch lernen, wie man den Kurs eines Schiffes bestimmt. Aber da fängt es schon an, komplexer zu werden: Es gibt mehrere Methoden, dies zu bewerkstelligen. Ein Kapitän lernt alle bekannten Methoden zu beherrschen, und er hat auch noch den naturwissenschaftlichen Hintergrund aus der Physik, das alles ist dem Matrosen völlig unbekannt!
Die Überheblichkeit, die man bei Nicht-Akademikern findet, rührt aus deren irriger Annahme her, „es genausogut“ zu wissen wie der, der die Informationen während eines Studiums erworben hat. Dieses Denken kann nur derjenige entwickeln, der das Wesen der akademischen Ausbildung nicht kennt – also der Nicht-Akademiker!
Wer während einer Hochschulausbildung bis zu einem Examen ständig den Unzulänglichkeiten des Systems ausgesetzt war, hat nicht nur alles über sein Fach gehört, sondern auch gelernt zu improvisieren, sich in unbestimmter Situation zielorientiert zu organisieren. Der Mangel des Hochschulwesens ist daher im eigentlichen Sinne kein Mangel, sondern – positiv betrachtet – ein Teil des Lernergebnisses.
Lassen sich die während eines Studiums erworbenen Kenntnisse eines Fachgebietes auch anderweitig erlernen? Ja, sicher, aber nicht in allen Fächern und bestimmt nicht in der erforderlichen Tiefe. Als Beispiel sei hier die Ausbildung von Pflegepersonal vs. ärztliche Ausbildung angeführt: Grundsätzlich wird eine Krankenschwester in den gleichen Fächern ausgebildet, die auch ein Arzt studiert. Zumindest vom Titel her sind die Bezeichnungen identisch – nicht jedoch vom Inhalt her betrachtet!
Der Unterschied:
Die Tiefe des Eindringens in eine Materie ist nicht durch eine Überschrift zu verdeutlichen. So verbirgt sich etwa hinter der Überschrift „medizinische Mikrobiologie“ im Falle der nicht-ärztlichen Ausbildung lediglich eine grobe Einteilung der Keime nach Färbbarkeit und Virulenz, unter besonderer Berücksichtigung jener Keime, die in Krankenhäusern gehäuft auftreten. Demgegenüber werden bei der ärztlichen Ausbildung zudem Lebenszyklen, Verwandtschaft, Antibiotika-Empfindlichkeit und Kreuzresistenz unterrichtet, dazu noch die relevante Therapie, und Methoden des Nachweises.
Der Laie muß den Eindruck gewinnen, alles sei gleich und die Unterscheidung dementsprechend falsch, was aber nach den vorher angeführten Überlegungen keinesfalls der Wahrheit entsprechen kann.
Vielfach wird aber kein Bemühen da sein, sich der Angelegenheit auf dieser Ebene zu nähern:
Das Vorurteil schlägt in diesem Fall unerbittlich zu – man liefe ja Gefahr, eigene Unzulänglichkeiten zugeben zu müssen. Da lebt es sich doch erheblich einfacher mit der Überzeugung: Ungerechtigkeit hält mich davon ab, das zu erreichen, was andere erreicht haben ….
Wenn ich hierzu einen Vergleich aus dem praktischen Leben nehmen darf:
Jeder weiß, Autos fahren mit Benzin oder Diesel, einen kleinere Zahl kennt den Unterschied zwischen beiden und kann vielleicht die Funktionsweise beschreiben, ein Kfz-Meister kann die Motoren zerlegen und wieder zusammenbauen, gegebenenfalls auch einzelne Teile von Hand fertigen – aber der Planungsingenieur hat auf dem Reißbrett Computer den Motor entworfen, die Produktion geplant und alle Werte berechnet, bevor auch nur irgendein Teil physisch verfügbar war. An diesem Beispiel erkennt man zum einen, daß alle Beteiligten nötig sind, um ein Kfz betreiben zu können, ohne den Ingenieur jedoch, würden alle anderen dasitzen und Däumchen drehen oder zu Fuß gehen!
Ein weiteres Beispiel ist der Künstler, vor dessen Werk Laien stehen und behaupten: „Das könnte mein sechsjähriger Enkel auch“. Wer einmal versucht hat, einen Kupferstich oder eine Lithographie anzufertigen weiß, daß das eben nicht aus dem Handgelenk zu schaffen ist – von einem Ölgemälde einmal völlig abgesehen!
Natürlich gilt das auch für alle möglichen Anbieter von journalistischen Dienstleistungen. Schreiben und Lesen kann doch jeder - was ist also naheliegender als zu behaupten: "Das kann ich auch, Leute, nur, ich machs billiger!" Ein typisches Beispiel von Ignoranz, gepaart mit völliger Unwissenheit über die zugrunde liegenden Notwendigkeiten. Wer, frage ich Sie, würde wohl einen Herrn "NOName" engagieren, wenn gestandene Journalisten - mit akademischer Ausbildung - zur Verfügung stehen .... aber solche Sprüche machen sich halt gut. Stammtischparolen. Der Kreis gleichgesinnter Dummköpfe applaudiert!
ad 3:
"School of Life" (=Praktisches Lernen; Autodidakten)
Was aber nun, wenn ein Laie sich so intensiv mit einem Fachgebiet auseinandersetzt, daß er den „Studierten“ an Wissen voraus ist? Sicher gibt es solche Fälle. Mir sind persönlich Imker bekannt, die ihre Bienen besser kennen als jeder Zoologe. Aber das war’s auch schon. Sobald sie etwas über die Wechselwirkung zwischen Bienen, Ameisen und räuberischen Wespen sagen sollten, sind die Fachleute für Bienen, die Imker, überfragt. Der Autodidakt kann Spitzenleistung nur auf einem sehr, sehr engen Segment vorweisen, vom studierten Akademiker kann man Wissen in der Tiefe in vielen Segmenten dieses Gebietes erwarten. Ich möchte für diese Fälle die Begriffe „praktische Intelligenz“ und „theoretische Intelligenz“ einführen. Der Autodidakt geht mit praktischer Intelligenz an Probleme heran, er beobachtet und führt dann aus. Der Akademiker denkt nach und stellt Fragen – zu Gebieten, in denen es noch keine praktischen Lösungen gibt. Aus diesen Fragen kristallisiert er solche heraus, die helfen, eine weitere Entwicklung zu bewerkstelligen, dann wird gehandelt. Vordergründig sind diese Schritte gleich. Sie unterscheiden sich nur in einem, aber sehr wesentlichen Punkt:
Der Akademiker schafft Neues, der Autodidakt kopiert oder ahmt nach ….
Gleichermaßen ungültig ist die Annahme, man sei aufgrund "älterer Rechte" automatisch in einer Position der Stärke. Ich habe gelegentlich gelesen, daß "alte Hasen" sich das Recht zubilligen, zu bestimmen was "man" in bestimmten Situationen tun oder lassen darf. Das ist die lächerlichste Forderung von Allen. Etwas "früher" gemacht zu haben ist lediglich von historischer Bedeutung - Rechte können daraus nicht hergeleitet werden. Wer also nicht mehr die Position innehat, die er früher einmal hatte, muß sich eher fragen, warum er den Anschluß verloren hat. Ich denke, das hat etwas mit persönlicher Inkompetenz zu tun - man hat eben nicht die Fähigkeit, auch heute noch an der Spitze mitzumischen, man hat nicht erkannt, wohin die Entwicklung geht - so einfach, so traurig für den Betroffenen. So endgültig aber auch, denn einmal verloren heißt für lange, lange Zeit verloren. Es ist eben etwas dran, an der These vom "lebenslangen Lernen".
"Frue*er"™ sind Menschen mit 40 Jahren gestorben. Es wird doch niemand auf die Idee kommen, daraus herzuleiten, daß das auch heute so sein oder wieder werden müßte ....
Zusammenfassung
Um es gleich vorwegzunehmen:
Zu jeder These, die ich hier zusammengestellt habe gibt es Ausnahmen, die - scheinbar – das Gegenteil bestätigen können. Es läßt sich die Wirklichkeit eben nicht in das enge Korsett einer Erörterung wie dieser hereinpressen. Ich kann mit dieser Unschärfe leben.