Zivilisation & Fortschritt

Wenn die Gegen­wart mit der Ver­gan­gen­heit ver­gli­chen wird hören wir meist Lob­prei­sun­gen. Lob­prei­sun­gen des­sen, was all­ge­mein als "Zivi­li­sa­ti­on" bezeich­net wird. Wir müs­sen froh sein heu­te zu leben und nicht vor ein­hun­dert Jah­ren. Wir haben erstaun­li­che Fort­schrit­te gemacht:
Auto­mo­bi­le, Flug­zeu­ge, super­schnel­le Fern­rei­se­zü­ge, Tele­fo­ne & elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on im all­ge­mei­nen, Gesund­heits­we­sen und Hygie­ne, Ernäh­rung und die Frei­heit unse­re Frei­zeit über­all auf dem Glo­bus zu verbringen.

Dafür müs­sen wir dank­bar sein und kei­ne dum­men Fra­gen stellen.

Fort­schritt wohin man sieht - wer wird da Zwei­fel haben, dass das Alles zugun­sten der jetzt leben­den und sich fort­pflan­zen­den Gesell­schaft ist? Ist also Fort­schritt - das "MEHR" gegen­über der ver­gan­ge­nen Zeit - wirk­lich immer den Preis wert, den wir dafür zahlen? 

Ist "Fort­schritt" nicht viel­mehr eine schwä­ren­de Wun­de die sich in den Pla­ne­ten Erde frisst, unauf­halt­sam, so lan­ge bis die Ober­flä­che davon zer­fres­sen ist?

Oho! höre ich da Eini­ge sagen, wie­der so ein Fort­schritts­feind, wie­der so einer, der nicht mit dem moder­nen All­tag zurecht kommt und des­we­gen dar­an her­um­mäkelt. Der nur das Nega­ti­ve sieht. Der nicht zuge­ben will, dass frü­her das Leben beschwer­li­cher war, gefähr­li­cher war, dass eine Blind­darm­ent­zün­dung, ein Hun­de­biss, ein Kno­chen­bruch oder eine abnor­ma­le Schwan­ger­schaft den Tod bedeu­ten konnten?

Da ant­wor­te ich:
- Wie steht es denn um die Gefah­ren von Infek­ti­ons­krank­hei­ten die heu­te um den Glo­bus jagen? Sowas war frü­her *lokal*, heu­te ist es *inter­na­tio­nal* oder *welt­um­span­nend*!
- Wie steht es denn um die Herz-Kreis­lauf­erkran­kun­gen, Infark­te und Hirn­schlä­ge als Fol­ge von Stress, Über­ernäh­rung und zu wenig Bewegung?
- Wie ist denn die Situa­ti­on hin­sicht­lich der End­lich­keit der schö­nen Errun­gen­schaf­ten bei der Fort­be­we­gung wenn das Öl alle ist?
- Wie sol­len denn die vie­len Pro­duk­te von Haus­halt bis Beklei­dung her­ge­stellt wer­den, wenn die Grund­stof­fe dafür alle sind?
- Wie soll die Netz­struk­tur und das indi­vi­du­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­rät pro­du­ziert wer­den wenn die 'sel­te­nen Erden' aus­ge­schöpft sind?
- Und zuletzt fra­ge ich ob es immer sinn­voll ist alle medi­zi­ni­schen Mög­lich­kei­ten selbst dann aus­zu­schöp­fen, wenn dadurch das Lei­den und der Ster­be­pro­zess unnö­tig ver­län­gert wird?

Fra­gen über Fragen.
Für mich sieht es so aus als ob uns da ein rie­sen­gro­ßer Bluff auf­ge­schwatzt wor­den ist. Den wir bereit­wil­lig geglaubt haben und der über­wie­gend noch geglaubt wird. Nach dem gan­ze Völ­ker auf der Erde immer noch stre­ben, obwohl doch klar sein müss­te, dass es so das Ende der Zivi­li­sa­ti­on ledig­lich beschleunigt.

Und was dann, ihr lie­ben Zivilisationsapologeten?

Ihr kämpft das Rück­zugs­ge­fecht. Euch gehen immer mehr die Argu­men­te aus. So wird nach noch so jedem klei­nen Stroh­halm gegrif­fen und er wird zum Baum­stamm hoch­sti­li­siert. Da wird der Scha­den der Zivi­li­sa­ti­on, die glo­ba­le Erwär­mung, mit all ihren Fol­gen, klein gere­det. Und wenn man nur oft genug wie­der­holt, dass es doch vie­le posi­ti­ve Ergeb­nis­se gibt, dann, so hofft ihr, wird aus der Lüge all­mäh­lich Wahr­heit, wer­den die Schat­ten­sei­ten der Zivi­li­sa­ti­on vergessen.

Kommentare

  1. Beim Betrach­ten von Bil­dern aus ver­gan­ge­ner Zeit - nicht mei­ner Lebens­zeit, son­dern aus den bei­den vori­gen Jahr­hun­der­ten - kam mir die­ser Gedan­ke zum ersten Mal: Die­se Men­schen hat­ten doch eigent­lich schon alles, was man zum Leben braucht; sie tra­gen gut genäh­te Klei­dung, im Win­ter war­me Unter­klei­dung und knö­chel­lan­ge Män­tel, feste Schu­he, woh­nen in, teils mehr­stöcki­gen, heiz­ba­ren Häu­sern mit einer sogar aus heu­ti­ger Sicht (oder gera­de aus heu­ti­ger Sicht!) qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Ein­rich­tung, essen täg­lich ein gekoch­tes Essen und mehr als das ... Das Ein­zi­ge, was m.A.n. zu bemän­geln wäre, ist die sehr unglei­che Ver­tei­lung die­ses Wohl­stands, denn es gibt auch bit­te­re Armut, Aus­zeh­rung, Hun­ger, frie­ren­de Kin­der, bau­fäl­li­ge Hütten.
    Da stellt sich mir nur eine Fra­ge: War­um sorgt(e) man nicht zual­ler­erst dafür, dass der doch zwei­fels­oh­ne vor­han­de­ne Wohl­stand allen zugu­te kommt? Ich mei­ne nicht, dass alle gleich viel haben müs­sen, aber die Sor­ge für das Wohl­erge­hen aller könn­te den men­schen­un­wür­di­gen Aus­wüch­sen des sog. "Fort­schritts" die Spit­ze neh­men. Und das tut drin­gend not.

    1. Ins­ge­samt kann ich Ihnen nur zustim­men - und der Tages­ab­lauf war bestimmt um Vie­les 'här­ter', weil mehr kör­per­li­che Arbeit gelei­stet wer­den muss­te. Das hat aber ver­hin­dert, dass man Fett ansetzte ....
      Wenn ich an Krank­hei­ten den­ke wäre aller­dings das Vor­han­den­sein von Anti­bio­ti­ka sehr viel frü­her ein Segen gewe­sen, zusam­men viel­leicht mit der fort­schritt­li­che­ren Chir­ur­gie & Anäs­the­sie die wir heu­te haben.

      Die Gerech­tig­keit der Ver­tei­lung ist immer noch nicht erreicht - und mei­ne Auf­fas­sung dazu ist ein­fach: Die 'Habe­nicht­se' las­sen sich zu leicht über­töl­peln .... und zwar genau von denen, die von ihrer Arbeit pro­fi­tie­ren. Denen glau­ben sie lie­ber als allen Ande­ren, die ihnen den Weg aus der Armut aufzeigen.

  2. Immer wenn sich die Men­schen etwas ein­fal­len las­sen, lässt sich auch die Natur wie­der etwas ein­fal­len, um ihnen ein Schnipp­chen zu schla­gen und sie dar­an zu erin­nern "ihr seid nicht über das Leben erha­ben, ihr Penner!".
    Insofern...
    ...Fort­schritt zwar pro­du­zie­ren, ihn mit­neh­men, aber sich nicht zu viel dar­auf einbilden.
    Die For­mel für die Unsterb­lich­keit hat man trotz­dem noch nicht gefun­den. Und danach sucht man bestimmt schon seit dem Mit­tel­al­ter - ach, was, eigent­lich schon seit jeder dage­we­se­nen Hoch­kul­tur. Gefun­den hat sie bis­her noch keiner.
    Es scheint dabei wohl doch irgend­wel­che Gren­zen zu geben...

    1. Man muss wohl unter­schei­den zwi­schen den zufäl­li­gen, da durch die Umstän­de beding­ten, 'Freun­de' in Insti­tu­tio­nen wie Schu­le - in einem Lebens­al­ter, in dem Alle noch nach ihrer Iden­ti­tät suchen. Da Sta­bi­li­tät zu suchen & zu erwar­ten ist wohl zuviel ver­langt. Bei Nach-Puber­tär gewon­ne­nen Freun­den sieht das schon anders aus, aller­dings ist der näch­ste Bruch zu erwar­ten wenn die Part­ner­wahl ansteht und sich Zwei­er­ko­ali­tio­nen fürs Leben bil­den .... da sind dann alte Freun­de oft vom neu hin­zu­ge­kom­me­nen Part­ner nicht mehr erwünscht - und da ist man macht­los, weil ein Intim­part­ner stets die bes­se­ren Vor­aus­set­zun­gen zur Moti­va­ti­on hat. Unter die­sen Umstän­den müs­sen schon sehr lan­ge und enge Freund­schaf­ten bestan­den haben um erhal­ten zu bleiben.

      Wich­tig scheint mir, Kon­takt­an­ge­bo­te zu machen aauch wenn die Gegen­sei­te sich stumm und taub stellt. Nicht auf­ge­ben und anzei­gen dass man die/den Ande­re 'wert­schätzt' und das erhal­ten will. Wenn es dann immer noch schief geht braucht man sich kei­ne Vor­wür­fe zu machen. Das ist dann "Leben" mit all sei­nen Ent­täu­schun­gen und Belohnungen ....

    2. " ..Es scheint dabei wohl doch irgend­wel­che Gren­zen zu geben.. " Ja, bestimmt, nur ist es bis­her trotz aller Alters­for­schung und ver­bun­de­ner Dis­zi­pli­nen noch nicht gelun­gen die­se Ursa­chen zu erfor­schen. Die wahr­schein­lich­ste Ursa­che ist wohl in den Genen zu suchen, da wo die Steue­rung gestoppt und geför­dert wird - ein Ver­schleiß der vor­han­de­nen "Muster" und die Unmög­lich­keit der immer­wäh­ren­den Repa­ra­tur (trotz Red­un­danz der wich­ti­gen Vor­gän­ge) spie­len da eine Rolle.

      Ich bin nicht so sicher, ob es wün­schens­wert ist die­sem *Geheim­nis* auf die Spur zu kom­men. Unend­lich leben? Das kann nicht gut gehen. Nicht auf einem 'end­li­chen' Planeten ....

    3. Da will ich nur sagen: Bit­te - je nach Wunsch, hier wird nie­mand gezwun­gen etwas gegen die eige­ne Auf­fas­sung zu tun.

  3. Es ist ja bekannt, dass ich eher pes­si­mi­stisch ein­ge­stellt bin. Aber man soll­te immer auch die ande­re Sei­te ken­nen: es gibt ein Buch von Ste­ven Pin­ker mit dem Titel "Auf­klä­rung jetzt" und dem Unter­ti­tel "für Ver­nunft, Wis­sen­schaft, Huma­nis­mus und Fortschritt.
    Es zahlt sich aus, die­ses Buch zu lesen. Die Quni­t­es­senz, die ich ohne ent­spre­chen­de Quel­len mich nicht zu behaup­ten traue, ist eine gene­rel­le Ver­bes­se­rung. Etwas hat sich aller­dings zum Schlech­te­ren ver­än­dert. Die Auf­klä­rung und der Buch­druck soll­ten eigent­lich ver­nünf­ti­ge Infor­ma­ti­on an die Mas­sen brin­gen können.
    Das Zei­tungs­we­sen indes­sen bringt heu­te nur mehr poli­ti­sche Stim­mun­gen und Reis­sack-Ppro­ble­me. Das führt auch dazu, dass der Gesamt­ein­druck eher pes­si­mi­stisch stim­men muss.
    Im Prin­zip gefällt mir aber vor allem die Ant­wort von Matrix­man sehr gut. Als Men­schen wer­den wir zurecht­ge­stutzt. Das haben wir aber unse­rer eige­nen Über­heb­lich­keit, Man­gel an Intel­li­genz und Man­gel an Demut zuzuschreiben.
    Daher plä­die­re ich auf Aus­rot­tung der der­zei­ti­gen Ver­si­on des Pro­gram­mes Mensch und Evo­lu­ti­on einer neu­en Ver­si­on 4.0 oder 5.0. Wir selbst sind sicher nicht 1.0.

    1. Die­se pes­si­mi­sti­sche Grund­stim­mung ken­ne ich und bis­wei­len kann ich schier ver­zwei­feln wie unkri­tisch im All­ge­mei­nen die Klei­nig­kei­ten und Gerüch­te zu "Ereig­nis­sen" umge­deu­tet wer­den - da rede ich nicht von Blogs, son­dern zei­ge wie Sie mit dem Zei­ge­fin­ger auf das, was sich hoch­tra­bend "Qua­li­täts­pres­se" nennt.

      Wirk­lich bedeut­sa­me Ereig­nis­se blei­ben uner­wähnt und dar­auf habe ich ja schon des öfte­ren hin­ge­wie­sen. Neh­men wir doch die Pan­ne bei den Vor­wah­len in IOWA:
      Eine ein­deu­ti­ge Mani­pu­la­ti­on die ver­hin­dern soll­te, dass gleich zu Anfang die­ser Run­de von Mei­nungs­er­he­bun­gen Ber­nie San­ders den Sieg davon­trägt und man in der Bericht­erstat­tung nicht mehr an ihm vorbeikommt ....

      Mensch 2.0 und/oder höher war übri­gens ein Dis­kus­si­ons­the­ma bei der heu­te besuch­ten Beer­di­gung - kei­ne kla­re Ten­denz zu berich­ten, jedoch viel­leicht so in knap­per Form:
      Jün­ge­re ten­die­ren zu Erho­lung des Pla­ne­ten trotz poli­ti­schen Unwil­lens, Älte­re eher zum Gegen­teil. Inso­weit lie­gen wir, Sie & ich, voll im Trend.

    2. Die Geschich­te mit der Ten­denz (vor allem der Jün­ge­ren) ist ein gewis­ser Trost für mich. Denn ent­ge­gen mei­nem Pes­si­mis­mus wün­sche ich mir für mei­ne Kin­der und Enkel­kin­der doch ein lebens­wer­tes Leben.

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