Meine Definition von "Leisetreterei":
- Heimlichtuer(-ei).
- Unter-den-Teppich-Kehrer.
- Um-jeden-Preis-Streit-Vermeider.
[Da bleibt DUDEN bei Wortbedeutungen 'sprachlos'.]
Provokant zu sein und einen Standpunkt zu vertreten kostet Sympathie.
Vor allem von jenen Zeitgenossen, die in der Zeit aufgewachsen sind, in der in Kindergärten und Schulen das "und-nun-vertragt-euch-und-gebt-euch-die Hand"-Mantra dazu dienen sollte jedweden offenen Konflikt zu vermeiden. Kompromiss um des Kompromisses willen. Nicht die Klärung eines Sachverhaltes oder eines schlechten, notwendigerweise zu korrigierenden Verhaltens war (und ist?) das Ziel, sondern "Friede-Freude-Eierkuchen-wir-haben-uns-alle-lieb"!
Provokant zu sein und einen Standpunkt zu vertreten kostet Sympathie.
Obsiegen macht, dass Andere unterliegen. Unterliegen ist ein schlechtes Gefühl, selbst wenn es gerechtfertigt ist. Wer unterlegen ist sinnt oft, anstatt zu überlegen ob das gerechtfertigt war, danach die Scharte auszuwetzen und irgendwie Genugtuung zu erreichen. Da kommen dann Scheinargumente, unsinnige Vergleiche und 'what-about-ism' zum Einsatz. Darüber wird dann geflissentlich 'vergessen', das zugrunde liegende Problem endgültig zu lösen und in "richtig" und "falsch" zu unterteilen!
Provokant zu sein und einen Standpunkt zu vertreten kostet Sympathie.
In einer Zeit, in der es heißt rosarote Freundschaftsbänder zu knüpfen, nach dem Guten zu suchen und das Schlechte der Welt zu verdrängen, sich zu amüsieren anstatt an der Besserung der Fehler und Probleme zu arbeiten, ist jede Art von abweichender Überlegung schlicht "unerwünscht".
Konsum und Wohlgefühl durch Ablenkung von der Wirklichkeit treten anstelle einer Auseinandersetzung mit dem Übel der Welt, mit all den Ungerechtigkeiten und mit der Allmacht von politischem System und seinen Strukturen.
"Verdrängen, verneinen, vergessen," heißt die - unausgesprochene - Leitlinie der Gesellschaft:
"Wieso soll ich mich damit befassen, darüber aufregen, da meine Ruhe riskieren
- das sollen Andere tun, die für den Job bezahlt werden!"¹
Daher:
Lieber provokant und ehrlich als hintertux² und verlogen!
¹ Der Tod demokratischer Struktur ist so besiegelt.
² hinterhältig, verschlagen
"kostet Sympathie" würde ich noch für einen Euphemismus halten...
Allerdings nicht erst in der neueren Zeit, das war auch schon vor 10 und 15 Jahren so, wenn man die (wirklich) falsche Meinung vertreten hat oder das falsche gedacht hat, dass einen die Öffentlichkeit dafür am liebsten gesteinigt hat.
Erinnere mich da noch sehr gut an einen 18-Jährigen, der später an seiner früheren Schule herumgeballert hat, den RTL auch auseinander nehmen und diskreditieren musste, nur weil er in seinen Pamphleten (sinngemäß) sagte: "Leute, euer Leben ist ein Scheißdreck! Lernen, nur damit man bis zur 65 arbeiten gehen und nach 5 Jahre Rente mit 70 ins Grab fallen darf? Und zwischendurch soll man sich dem Konsumterror hingeben und jede Menge nutzlosen Schrott kaufen, um Leute zu beeindrucken, die einen nicht mögen und die auch nie mögen werden?"
...Musste durch den Dreck gezogen werden, weil in Deutschland das Dogma "Arbeiten ist das höchste Gut, daran sollst du gefälligst glücklich werden!" nicht hinterfragt werden darf.
Sie sprechen den Kern an:
Abweichung ist unerwünscht - und zwar in völliger Verkennung der Tatsache, dass in der Geschichte der Menschheit stets die abweichende Vorstellung, das 'weiter' (im Sinne von räumlich, über vorhandene Grenzen) denken, den Fortschritt erzeugt hat.
Beharren und im konservativen Sinne Altes zu bewahren, Änderungen zu bekämpfen und nichts zuzulassen, was den Bequemlichkeitsindex verschiebt - das ist es, was den Untergang bedeutet .... viele hunderte von Jahren geschah das durch die Kirchen, heute sind es die Leisetreter, die das stattdessen 'besorgen' ....
Ich bedauere, dass Sie so schlechte Erfahrung machen mussten - da kann man verstehen, dass Sie stinkig sind und das Vertrauen verloren haben. Der Jugendliche, den Sie da erwähnen hatte ja Recht mit seiner Analyse, nur hat er den falschen Weg gewählt daran etwas zu ändern. Das ist lediglich wie ein Strohfeuer: Es flammt kurz & heftig, dann ist es vorbei und vergessen - es bringt nichts, außer das einer der Besseren tot ist.
An und für sich - für die Konsequenzen von Unwilligkeit, etwas zu ändern, da findet man genügend Beispiele in der Geschichte...
Heutzutage ist es fast noch ein klein wenig schlimmer als "Stillstand" - eher soll es eine Rolle rückwärts werden. Rückkehr zu altem Muff, im Glauben, dass der einen retten wird - Kopf in den Sand, und wenn man nicht mehr sieht, was auf einen zusteuert, dann ist es ganz einfach nicht mehr da.
Das genannte Beispiel ist für mich jedenfalls eines, womit man es am heftigsten ausdrücken kann - so heftig wie es im Ernstfall glatt ausfällt.
Letztendlich war das Schlimmste für die "normale Welt" daran, dass jemand kam und die Message in den Mund nahm "Das Leben ist scheiße hier!", das sogar auch begründen konnte auf seine Art - welches dieser "normalen Welt" aber überhaupt nicht geschmeckt hat.
Es musste auf Gedeih und Verderb diese gefundene Antwort verneint werden, mit allen möglichen Mitteln. Derjenige hätte auch etwas weniger heftiges in der Praxis daraus machen können - wäre seine Message die Gleiche geblieben, hätte man es ebenfalls verrissen, weil nicht sein darf, was nicht sein darf.
Wenn das Leben hier nämlich scheiße ist, dann lebt man ja doch nicht in einem der besten und wohlhabendsten Staaten, wo alles richtig läuft...
Und genau das sollte nicht die Runde machen.
In unsicheren Zeiten neigen die Menschen immer dazu sich auf "Vertrautes" zurück zu ziehen, und zwar physisch wie psychisch. Angriffe - und als solche werden dann kritische Anmerkungen zum System identifiziert - fordern Widerspruch heraus und das ist nie ein guter Anfang .... besser ist es Fragen zu stellen, die ganz harmlos sind, um die Meinung des Gegenübers dazu 'abzuklopfen' - dann weiß man wo anzusetzen ist und welche Argumente besser nicht direkt gebraucht werden.
Ich muss sagen, in der Art und Weise wie die Anmerkungen zur damaligen Zeit kamen - also in dieser zwar sehr knallharten, dafür aber auch ehrlich gemeinten Weise -, das braucht diese Gesellschaft dringend immer mal wieder. Mittlerweile hat man hier solch eine ausgeprägte Abneigung zu harten und drastischen Antworten, ja sogar nur Gedanken entwickelt - alles, was nicht irgendwie positiv und wolkenweich ankommt, davon kriegen die hier alle schon einen Herzinfarkt. Das Leben selbst ist aber nicht so positiv und wolkenweich und verpackt alles immer nett in wohlgeformte Häppchen, mit denen der überzeugte/gläubige Zivilisationsmensch in seiner als selbstverständlich angesehenen sicheren Blase umgehen kann.
Vor allen Dingen - es muss auch mal eine negative Antwort oder ein negativer Zustand ausgehalten werden. Wenn das nicht möglich ist, dann stimmt da etwas nicht. Dann ist man in einer Gesellschaft gelandet, die sich lieber sprichwörtlich mit irgendwelchen Dingen zudröhnt, nur um täglich sein angestrebtes Level von Fröhlichkeit zu erreichen.
Und über den Umstand ist allseits bekannt, dass es krankhaft ist...
Korrekt! Besser hätte ich es nicht zusammenfassen können.
Alles Negative zu verleugnen und immer nur das Positive zu sehen ist eine Störung der Wahrnehmungsbalance. Das heißt ja nicht, immer miesepetrig herum zu laufen und Sack & Asche zu tragen, sondern lediglich den bitteren Seiten des Lebens auch Raum zu geben ....
Ich stelle mir immer zuerst die Fragen "Geht das grundsätzlich, ist das sinnvoll, kann man dafür eine Lösung finden?" - und dann kommen die Nachteile sehr schnell zum Vorschein und man hat die Möglichkeit diese auszuschalten oder zu umgehen.
Wer hingegen grundsätzlich sagt "Alles geht immer!" oder "Das geht doch bestimmt nicht!" verliert schon gleich von Beginn an ....
Und eben in dem Punkt sah ich damals, dass da etwas sehr unerwünscht ist. Die negative Feststellung, die einer gemacht hat, musste um Himmels Willen verneint werden, egal mit welchen Argumenten. Und wenn man auch mal wieder das Kaninchen aus dem Hut zaubert "er war psychisch krank" oder "er war geistig verwirrt". (Im Nachhinein hat man den Protagonisten, aus fachlicher Sicht, als etwas in Richtung komplexe PTBS eingestuft - was in etwa so viel bedeutet wie "traumageschädigt, aber nicht dumm oder unzurechnungsfähig".)
Ich sehe diesen Zustand der Dinge heute nicht wirklich verändert. Das würde wieder so laufen.
Heute hätte man nur sogar noch einen guten Kampfbegriff dazu, um es abzuwürgen - der wäre nämlich "Hatespeech".
Ein Mensch, nur von Hass zerfressen, der deswegen unmöglich in irgendeinem Punkt auch mal Recht haben könnte...
Warum der Standpunkt in jedem Fall provokant vertreten werden muss, ist für mich nicht nachvollziehbar. Durch Provokation bewirkt man nichts. Vieles kann man auf sich beruhen lassen, ohne dass weiterer Schaden entsteht; allerdings kann man sich dann auch nicht aufspielen, und daran scheint manchen Leuten doch viel zu liegen. Ohne den großen Auftritt leben zu können, ist in meinen Augen eine positive Eigenschaft, und meine Erfahrung sagt: Einen Standpunkt auf friedliche Art und Weise zu vertreten, kostet keine Sympathie! Mit Leisetreterei hat das nichts zu tun.
Wir sprechen wahrscheinlich von verschiedenen Ebenen dessen, was unter Provokation gemeint ist bzw. subsummiert werden kann. Ich meine damit eine Abweichung von der allgemein gültigen Lesart, der gängigen Beschreibung, und der üblichen Konnotation von Sachverhalten - also schlichtweg: Ein abweichendes Denken, das neue Interpretationen ermöglicht, eine alternative These, die Gewesenes und Vorhandenes neu verknüpft und so in Frage stellt ob die bisherige Sicht (noch?) angemessen ist oder nicht.
"Etwas auf sich beruhen lassen" ist bestimmt eher häufig die beste Wahl, da stimme ich Ihnen zu. Es gibt Bereiche, in denen das nicht zutrifft, beispielsweise in der Sozialpolitik: Selbst wenn mich eine Regelung dort nicht persönlich betrifft kann es doch nötig/sinnvoll sein, sich zu erklären und Fürsprache für Andere einzulegen. Ansonsten entsteht vielleicht der Eindruck, eine falsche Maßnahme sei allgemein akzeptiert.
Ein anderer Bereich ist die demokratischen Teilhabe: Wer nur seine eigenen Belange verfolgt [Fressen, Fußball, Frauen (oder Männer, je nach Ausgangssituation)] und sich nicht Gedanken um das Gemeinwesen macht läuft Gefahr, dass Andere die Gelegenheit nutzen nur ihre Sicht der Welt im politischen Raum durchsetzen zu können- es ist ja kein Widerspruch da! Ein Bespiel wäre hier die Sterbehilfe, deren wiederholte Einschränkung durch die christlich geprägte Sicht der Großparteien, trotz unzähliger Gerichtsurteile zum Gegenteil, immer noch einmal (wie auch jetzt wieder) mit einseitig ausgesuchten "Beratern aus relevanten Bevölkerungsgruppen" angegangen wird.
Wenn 'faule Kompromisse' gemacht werden, deren Unzulänglichkeit schon beim Händedruck deutlich ist und die nur sehr kurzfristig wirken können bevor es erneut 'zur Sache' geht - was ist dann gewonnen? Da ist es doch besser so lange konfrontativ zu bleiben, bis eine wirkliche Lösung gefunden wurde, die dann auch Bestand hat.