Haben Kinder mehr Geschmacksnerven?

Die Fra­ge ist unklar/uneindeutig for­mu­liert, da es nicht ersicht­lich ist was unter "Geschmacks­ner­ven" ver­stan­den wer­den soll. Einer­seits kön­nen damit die Ner­ven­bah­nen in ihrer Gesamt­heit gemeint sein, die 'Geschmack' von den Rezep­to­ren in Mund­schleim­haut, Zun­ge und Rachen zum Gehirn lei­ten. Ande­rer­seits könn­ten damit die Rezep­to­ren selbst gemeint sein, deren Zahl grö­ßer oder klei­ner ist, je nach­dem wann man es (Lebens­al­ter!) untersucht. 

Wei­ter muss in die­sem Fall fest­ge­legt wer­den um wel­che Geschmacks­qua­li­tät es sich han­delt, denn zwi­schen den Zah­len von Rezep­to­ren für süß, sau­er, sal­zig, bit­ter gibt es Unter­schie­de. Das sind die 'gesi­cher­ten' Wahrnehmungen.
Popu­lär­li­te­ra­tur behaup­tet es gäbe außer­dem ".. uma­mi, also herz­haft ..", wei­ter heißt es ".. Eine neue Stu­die aber lie­fert nun den bis­lang stärk­sten Hin­weis auf einen sech­sten Sinn. Auf der mensch­li­chen Zun­ge gibt es Knos­pen, die auf Fett reagie­ren. Man­che Men­schen schei­nen beson­ders sen­si­bel .." [Quel­le] ¹

Eine Grund­la­gen­zu­sam­men­fas­sung zum Geschmacks­sinn fin­det sich in die­ser Dis­ser­ta­ti­on (*.pdf); dort wird schwer­punkt­mä­ßig der ".. Geschmacks­sinn bei Kin­dern, ins­be­son­de­re der die Ent­wick­lung eines Schmeck­tests für Schul­kin­der zwi­schen fünf und sie­ben Jah­ren .." untersucht.

Auf die Behaup­tun­gen in Ter­ti­är­ver­öf­fent­li­chun­gen (Bou­le­vard-/ Rat­ge­ber­pres­se) wer­de ich spä­ter noch zurück kom­men³ und klä­ren, was davon zu hal­ten ist.

".. Alle Zel­len des Geschmacks­sinns, ange­fan­gen bei den Sin­nes­zel­len in der Zun­ge bis hin zu den Ner­ven­zel­len in der Groß­hirn­rin­de, reagie­ren auf meh­re­re Reiz­ar­ten. Die Sen­si­bi­li­tä­ten für die ein­zel­nen Stof­fe schei­nen jedoch unter­schied­lich zu sein .." heißt es bei Lern­hel­fer, doch ist das kei­ne beson­de­re Lei­stung des Geschmacks­sin­nes, son­dern eine all­ge­mei­ne Lei­stung des Ner­ven­sy­stems: Sie ken­nen sicher den Schmerz wenn man etwas Hei­ßes ange­fasst hat - und genau so fühlt es sich an wenn man etwas sehr Kal­tes für län­ge­re Zeit fest­hält - 'heiss' und 'kalt' sind also ein Fra­ge der Dau­er der Ein­wir­kung, nicht unbe­dingt der tat­säch­li­chen Tem­pe­ra­tur (wobei die Fol­gen für das Gewe­be selbst­re­dend sehr unter­schied­lich sein werden).

Gehen wir also zunächst ein­mal der Fra­ge nach wel­che die­ser bei­den grund­sätz­lich ver­schie­de­nen Struk­tu­ren gemeint sind. Da bei Kin­dern bis zur Puber­tät die Ner­ven­bah­nen noch nicht kom­plett sind, son­dern mit dem Kör­per wach­sen, kann das nicht der Teil sein, der gemeint ist. Sie sind bei Kin­dern kür­zer und in der Mas­se klei­ner, wes­we­gen also die Geschmacks­ner­ven des Mun­des gemeint sein müssen. 

".. Auf dem Zun­gen­rücken, d.h. der Zun­gen­ober­flä­che, befin­den sich neben klei­nen Erhe­bun­gen, den Papil­len zur Tast­emp­fin­dung auch sol­che zur Geschmacks­wahr­neh­mung. Man unter­schei­det Blät­ter­pa­pil­len sowie pilz­för­mi­ge und wall­för­mi­ge Geschmacks­pa­pil­len. In ihrem Inne­ren lie­gen die Geschmacks­knos­pen. Sie ähneln in ihrer Form Tul­pen­knos­pen, daher auch der Name. Oben, im Bereich der Epi­thel­ober­flä­che der Zun­ge, wei­sen die Geschmacks­knos­pen ein klei­nes Grüb­chen mit einer Öff­nung auf, den Geschmacks­po­rus. In die­sen ragen die Sin­nes­zel­len mit einem so genann­ten Geschmacks­stift­chen hin­ein .." [Quel­le]

Auch hier setzt die Über­le­gung zunächst an der Grö­ße an: Weni­ger Gewe­be deu­tet zunächst ein­mal auf weni­ger Sin­nes­zel­len hin. Doch stimmt das?

Erstens wird hier noch ver­nach­läs­sigt, dass der Geruchs­sinn funk­tio­nie­ren muss um den Geschmacks­sinn voll zu akti­vie­ren. - wenn die Nase ver­stopft ist schmeckt selbst das beste Essen nicht wirk­lich. Da das für Kin­der und Erwach­se­ne gleich­ar­tig im Ergeb­nis ist kön­nen wir es als Ursa­che für einen Unter­schied vernachlässigen.

Zwei­tens steht nicht fest, wel­che der Geschmacks­rich­tun­gen in den Sin­nes­zel­len, die den Reiz auf­neh­men, in wel­cher Zahl, d.h. in wel­chem Ver­hält­nis zuein­an­der und im Ver­gleich zum Erwach­se­nen­al­ter denn tat­säch­lich zu fin­den sind.
Hier nähern wir uns nun dem Kern der Sache und müs­sen Daten, Stu­di­en und Bewei­se fin­den, um die­se Fra­ge zu klären.

".. Ins­ge­samt neh­men Kin­der Geschmäcker erst in viel höhe­rer Kon­zen­tra­ti­on wahr als Erwach­se­ne. Eine euro­pa­wei­te Stu­die zum Ess­ver­hal­ten bei über 400 Kin­dern ergab, dass Drei­jäh­ri­ge eine Zucker­lö­sung erst dann als süß emp­fin­den, wenn sie 8,6 Gramm Zucker ent­hält. Die­se Reiz­schwel­le sinkt mit fort­schrei­ten­dem Alter: 20-jäh­ri­ge Pro­ban­den schmeck­ten bereits rund zwei Gramm den Zucker her­aus .." [Quel­le]

Das klingt doch eher so, als ob Kin­der weni­ger Geschmacks­zel­len hät­ten oder die­se, selbst wenn ihre Zahl abso­lut höher wäre eine gerin­ge­re Emp­find­lich­keit haben und daher Kin­der weni­ger gut schmecken als Erwachsene.
Nun soll man sei­ne Wahr­neh­mung nicht von einer Quel­le allein bestim­men las­sen und wir machen uns auf die Suche nach wei­te­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen zum Thema.

Da wer­den wir fün­dig und lesen fol­gen­den Text ".. Die Sin­nes­or­ga­ne sind zwar von Geburt an funk­ti­ons­tüch­tig, doch die Wahr­neh­mung ist eine Sache der Übung. Sen­so­ri­sche Tests haben gezeigt, dass Kin­der erst nach und nach fei­ne­re Unter­schie­de her­aus­schmecken kön­nen und dass dies kei­ne orga­ni­schen Grün­de hat .." [Quel­le].

Die­se Fest­stel­lung sagt also, es sei­en zwar bei Kin­dern alle ana­to­mi­schen Vor­aus­set­zun­gen gleich, aber das Schmecken sei ein Lern­vor­gang, der erst ent­wickelt wer­den müs­se. Das klingt zumin­dest für mich so, als ob Kin­der nicht bes­ser, son­dern sogar schlech­ter schmecken kön­nen. Wir lesen in die­sem Arti­kel - die Unter­su­chung wur­de mit 400 Kin­dern zwi­schen drei und acht Jah­ren durch­ge­führt - fol­gen­de Zusam­men­fas­sung ".. Mit stei­gen­dem Alter zeig­te sich in den Unter­su­chun­gen eine deut­li­che Abnah­me der unte­ren Reiz­schwel­len. Mit ande­ren Wor­ten: Je älter des Kind/der Jugend­li­che, desto gerin­ger fällt die Kon­zen­tra­ti­on aus, bei der eine Lösung gera­de noch als nicht geschmacks­neu­tral emp­fun­den wird. Die­se so genann­te Reiz­schwel­le sank beson­ders zwi­schen dem ach­ten Lebens­jahr und dem Erwach­se­nen­al­ter stark ab .." [Quel­le]

Das zeigt sehr deut­lich, wo die Unter­schie­de sind und wie sie beur­teilt wer­den müssen:
Erwach­se­ne haben zwar nicht mehr Geschmacks(-sinnes-)zellen, doch sie haben gelernt zu unter­schei­den. Das ist es was Kin­dern noch fehlt: Erfah­rung mit ver­schie­den­sten Geschmacks­trä­gern die nicht die Qua­li­tät 'süß' reprä­sen­tie­ren, für die sie von Geburt an eine extrem hohe Emp­find­lich­keit ab einem bestimm­ten Min­dest­ge­halt der Nah­rung haben.

Ande­rer­seits gibt es Unter­su­chun­gen die zei­gen, dass selbst in höhe­rem Lebens­al­ter noch Ände­run­gen der Nah­rungs­prä­fe­renz für bestimm­te Geschmacks­rich­tun­gen mög­lich sind. Nach­ge­wie­sen wur­de es aller­dings bis­her nur für den Salz­ge­halt der Nahrung:
".. there's some sci­en­ti­fic evi­dence to sup­port this expe­ri­ence. Rese­ar­chers have also inve­sti­ga­ted methods of modi­fy­ing one's food pre­fe­ren­ces so more healthful foods will be more appe­al­ing. In gene­ral — and not unex­pec­ted­ly — fla­vor and food pre­fe­ren­ces are more mal­leable when we're young (inde­ed, in ute­ro), but as adults, we can still work on them .. Seve­ral stu­dies have shown that peo­p­le who mana­ge to fol­low a low-sodi­um diet for seve­ral months wind up pre­fer­ring lower con­cen­tra­ti­ons of salt in their food. .." [Quel­le].

Doch zurück zu der Fra­ge ob Kin­der mehr Geschmacks(-sinnes-)zellen haben.
".. wenn Ihr Kind unge­fähr 5 Mona­te alt ist, sind die Geschmacks­ner­ven Ihres Babys so weit ent­wickelt, dass es sal­zig erken­nen und auch dar­auf reagie­ren kann .." [Quel­le]
Im glei­chen Bei­trag heißt es wenig spä­ter ".. In die­sem Zeit­raum ist der Geschmacks­sinn Ihres Babys sehr aus­ge­prägt. Tat­säch­lich hat ein Neu­ge­bo­re­nes eine wei­te­re Streu­ung der Geschmacks­ner­ven als ein Erwach­se­ner. Die Geschmacks­knos­pen sind im Mund, Rachen, auf der Zun­ge und auf sei­nen Man­deln zu fin­den ..". Die­se Aus­sa­ge mag dahin­ge­hend inter­pre­tiert wer­den, wie es ein­gangs postu­liert wur­de - jedoch: Es feh­len jeg­li­che Bewei­se!³ Als AutorIn wird ledig­lich ange­ge­ben '.. Geschrie­ben für Baby­Cen­ter Deutsch­land ..' - zwei­fels­oh­ne ist das weni­ger über­zeu­gend als eine wis­sen­schaft­li­che Quelle!

Damit kom­me ich auf die Dis­ser­ta­ti­on zurück, die ich ganz oben bereits erwähnt habe.
Der Zweck die­ser Unter­su­chung wird fol­gen­der­ma­ßen beschrieben:

(S.03) ".. Ziel der Stu­die war es her­aus­zu­fin­den, ob gesun­de Schul­kin­der im Alter zwi­schen fünf und sie­ben Jah­ren in der Lage sind, vier der fünf Grund­ge­schmacks­qua­li­tä­ten, näm­lich sal­zig, sau­er, süß und bit­ter sowie Was­ser rich­tig zu erken­nen und zu benen­nen und wie ihre Ergeb­nis­se im Ver­gleich zu Erwach­se­nen aus­fal­len. Dabei inter­es­sier­ten uns nicht nur die Ergeb­nis­se für die Testung im gan­zen Mund, son­dern auch die Fra­ge, ob bei Kin­dern in die­sem Alter eine regio­na­le Testung auf der Zun­ge mög­lich und sinn­voll ist .."

Zur Ana­to­mie und Phy­sio­lo­gie wird aus­ge­führt (S.25):

".. Das heißt Kin­der haben ins­ge­samt mehr Geschmacks­knos­pen als Erwach­se­ne, was aber kei­ne Rück­schlüs­se auf die Funk­ti­on zulässt. Die Inner­va­ti­on der Papil­len und Knos­pen scheint bei Kin­dern noch nicht so gut aus­ge­bil­det zu sein wie beim Erwach­se­nen (Plat­tig, 1984 aus Gui­nard, 2001) .."

Das Fazit für den Ver­gleich lau­tet (S. 26):

".. Eine Stu­die aus Öster­reich kommt zu dem Ergeb­nis, dass nur 27,3% der zehn- bis drei­zehn­jäh­ri­gen Schul­kin­der in der Lage sind alle der vier gete­ste­ten Geschmacks­qua­li­tä­ten (süß, bit­ter, sal­zig und sau­er) zu erken­nen und rich­tig zu benen­nen. 5,2% der Kin­der erkann­ten drei von vier, 35,8% erkann­ten zwei von vier, 23,6% erkann­ten eine von vier und 8,1% erkann­ten kei­ne der Geschmacks­qua­li­tä­ten. Im Ver­gleich hier­zu lie­fer­ten Erwach­se­ne bes­se­re Ergeb­nis­se. Über 70% der Erwach­se­nen erkann­ten alle Geschmacks­qua­li­tä­ten (Dürr­schmidt et al., 2008 aus Tra­ar, 2009) .."


Wegen der ins­ge­samt vor­ge­leg­ten Stu­di­en­ergeb­nis­se und den Befun­den aus die­ser spe­zi­fi­schen Dis­ser­ta­ti­on zie­he ich den Schluss, dass nicht nach­ge­wie­sen wer­den kann, dass Kin­der bes­ser schmecken kön­nen als Erwach­se­ne, son­dern umge­kehrt Erwach­se­ne bes­ser schmecken kön­nen als Kin­der.
 

 

¹ ".. Wei­te­re Sen­so­ren für Glut­amat ("Uma­mi") gel­ten als gesi­chert, mög­li­cher­wei­se gibt es auch spe­zi­el­le Sen­so­ren für Fet­te .." behaup­tet auch "Lern­hel­fer" - ohne jedoch, genau so wie der Spie­gel, die Quel­len zu nen­nen. Hat da eine Zeit­schrift von der ande­ren abge­schrie­ben und kommt es so, dass sich der­glei­chen "Erkennt­nis­se" ledig­lich dadurch her­vor­he­ben, dass sie so oft wie­der­holt wer­den, dass der Ein­druck ent­steht sie sei­en tat­säch­lich Erkennt­nis­se der Wissenschaft?

² Arlam! Wenn so etwas als Titel eines Arti­kels dasteht habe ich gro­ße Beden­ken was die Qua­li­tät des Inhalts die­ser Ver­öf­fent­li­chung angeht. Im wei­te­ren Ver­lauf des Tex­tes wird jedoch der Ein­druck abge­schwächt und durch wis­sen­schaft­lich ange­mes­se­ne Dar­le­gung aufgehoben. 

³ Aus­sa­gen ohne Bewei­se sind wis­sen­schaft­lich irrele­vant. Wer­den zudem noch quan­ti­ta­tiv mehr gegen­tei­li­ge Quel­len gefun­den, so spricht das dafür, dass in der Popu­lär­li­te­ra­tur eher Mei­nun­gen als Fak­ten ver­brei­tet werden.

Wei­te­re z.T. popu­lär­me­dia­le Quel­len die das dar­ge­leg­te Fazit unterstützen:
Sin­ne-Spe­cial - Teil 4: Das Schmecken
Appe­tit auf Geschmack; Dipl. oec. troph. Lisa Vogel
→ Aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht umstrit­ten: "orale(s) Mikro­bi­om"Der wis­sen­schaft­li­che Grund, war­um vie­le Kin­der kei­nen Brok­ko­li mögen

Kommentare

  1. Man sagt nicht umsonst "Geschmack muss sich erst ent­wickeln" (trifft dort zwar eher auf per­sön­li­che Prä­fe­ren­zen zu, hat aber auch etwas bei sen­so­mo­to­ri­schem Geschmack an sich)...

    Wür­de, soweit wie es Ände­run­gen in den eige­nen Gewohn­hei­ten betrifft, auch nicht behaup­ten, dass es an der vor­han­de­nen Zahl von Geschmacks­knos­pen auf der Zun­ge liegt, son­dern am wesent­lich grö­ße­ren Wis­sen um ver­schie­de­ne Essen und ihren ein­zel­nen Geschmäckern.
    Wis­sens­in­put hilft auch bei der Ent­wick­lung eige­ner Koch­fä­hig­kei­ten - weil man in etwa ein Gespür/Mengenverhältnis dafür kriegt, wie viel man von was zusam­men­wer­fen muss, damit was in der Mit­te als End­ergeb­nis herauskommt.
    Ja, über­haupt Anhalts­punk­te zu krie­gen, was man zusam­men­wer­fen muss, um ein bestimm­tes Ergeb­nis herauszukriegen!

    Dass Ver­än­de­rung in den eige­nen Prä­fe­ren­zen auch spä­ter noch mög­lich ist, wür­de ich auch soweit als Aus­sa­ge unterstützen.
    Bei­spiels­wei­se esse ich seit eini­ger Zeit auch Sushi. Vor­her haben mei­ne Augen das nie wahr­ge­nom­men und es hat sie auch nicht interessiert.
    Der Geschmack von Soja­sauce ist bei mir auch nicht mehr ganz weg­zu­den­ken (und Din­gen, die man dar­in tun­ken kann).
    Oder - ich sag' nur "Oli­ven­öl". Die­se selt­sa­me Geschmacks­kom­bi­na­ti­on aus bit­ter, "fruch­tig" und (ein biss­chen) scharf - dar­an muss man sich erst gewöh­nen. Hat sich mein Hirn aber im Lau­fe der Zeit.

    1. Erstaun­lich war für mich der Hin­weis in einer der Ver­öf­fent­li­chun­gen, dass es bes­ser ist 'rei­ne' Zuta­ten zu ver­wen­den und sie nicht mit­ein­an­der zu mischen, son­dern neben­ein­an­der zu ser­vie­ren, damit Kin­der den 'rei­nen' Gesdchmack ein­zel­ner Gemü­se und son­sti­ger Nah­rung erken­nen lernen.
      Die süd­län­di­sche und asia­ti­sche Küche machen so ähn­li­che Ansät­ze, aller­dings nicht immer ganz 'rein', son­dern auf­ein­an­der abge­stimmt - das ist es wohl was du mit '.. Ja, über­haupt Anhalts­punk­te zu krie­gen, was man zusam­men­wer­fen muss, um ein bestimm­tes Ergeb­nis her­aus­zu­krie­gen! ..' ange­deu­tet hast.
      Ich ken­ne zwei Aus­nah­men, die ich gern ver­ar­bei­te wenn es 'mal schnell gehen muss: Let­scho und Duvec, jeweils ergänzt mit Huhn, oder fett­re­du­zier­tem Rinds­ge­hack­tem oder auf­ge­tau­ten Cevapcici ....

      1. Aha, da sagst du etwas...
        In etwa so einen glei­chen Tick habe ich dabei, wenn es dar­um geht, neue Nah­rungs­mit­tel ken­nen­zu­ler­nen (kön­nen auch kom­plett fer­ti­ge Gerich­te sein)... Aller­dings von mir allein aus.
        Das ist dann in der Regel so: Ich ver­su­che, das Objekt, wofür ich mich inter­es­sie­re, bei der "Erst­ver­ko­stung" mög­lichst "pur" zu ver­zeh­ren - also wenig gewürzt, nur das Min­de­ste, was es benö­tigt, even­tu­ell auch nur die "all­ge­mei­ne Num­mer", zu sal­zen und zu pfef­fern (damit kann man kaum etwas falsch machen).
        Bei Obst - selt­sam anmu­ten­dem Exo­ten­obst - habe ich in der Regel erst mal nach­ge­schla­gen, wie isst man das "Ding" über­haupt (manch­mal muss man das wirk­lich erst wissen).
        Fer­ti­ge Gerich­te, wo ich im Prin­zip "bloß mal einen ande­ren Geschmack ken­nen­ler­nen will", mache ich nichts wei­ter dran, modi­fi­zie­re nichts.
        - Fer­ti­ge Gerich­te kön­nen zumin­dest in ihrer Aus­gangs­kon­zep­ti­on auch ein klein wenig Inspi­ra­ti­on dabei sein, ob einem ein Gericht oder eine Rich­tung von Essen über­haupt "lie­gen" könn­te. - Wenn es das näm­lich nicht tut, muss man eine Sache näm­lich nur ein Mal essen...

        Das alles, neh­me ich soweit auch wahr, "hilft" mei­nem Hirn, in dem Sin­ne, ein "Gefühl" für eine bestimm­te Spei­se zu krie­gen. Also, ihren Grundgeschmack.
        Grund­ge­schmäcker sind wie­der­um eine sehr gute Basis dabei, kom­ple­xe Geschmacks­kon­zep­tio­nen zu gene­rie­ren. Oder sie in ande­ren Gerich­ten, die einem fer­tig for­ge­setzt wer­den, selbst her­aus­zu­schmecken und sich ein inne­res Bild von der vor­ge­ge­be­nen Kom­bi­na­ti­on von Geschmäckern zu machen (z. B. von Sachen, die man selbst noch nicht kann).
        Also... die­se Art von "Puris­mus" erle­be ich als eine sehr gro­ße Quel­le von Input, sodass man sich ewas vor­stel­len bzw. "zusam­men­rei­men" kann wie das selbst erzeugt wer­den kann.
        Je mehr bewusst erleb­ten Input man hat, desto mehr kom­bi­niert und fügt sich das im Kopf zu kom­ple­xe­ren Über­le­gun­gen zusammen.

        1. Kochen ist vor allem Impro­vi­sa­ti­ons­ga­be und Phan­ta­sie - die Vor­aus­set­zung dafür sind zwei­fel­los Kennt­nis­se zum Geschmack der Spei­se­zu­ta­ten und ins­be­son­de­re der Gewür­ze - bei­spiels­wei­se passt zu einem Cur­ry schlecht Knob­lauch, wohin­ge­gen Ing­wer eine fei­ne Schär­fe zufügt. Wer neben die­sen Fähig­kei­ten nicht zugleich ein wenig Geschick im Umgang mit Küchen­ge­rä­ten und ~tech­nik hat, soll­te frag­los Ande­ren das Kochen überlassen ....

          PS
          Pfef­fer ist mit Vor­sicht zu genie­ßen! Schon ein Quänt­chen zu viel und die Spei­se ist ver­dor­ben, ganz anders als bei Salz, da kann man mit Sah­ne oder war­mem Durch­spü­len das 'zu viel' noch weg­be­kom­men - wes­we­gen ich es so hal­te, den Pfef­fer­lieb­ha­bern eine Pfef­fer­müh­le oder Pul­ver hinzustellen.

        2. Hm, ich wür­de es eher benen­nen als "etwas, was man Pi mal Dau­men macht" - was nicht 100%-ig fest­ge­legt ist.
          Man sieht es schließ­lich in sol­chen Situa­tio­nen, wenn man eine Spei­se macht, die man schon gut kann. Nicht jedes Mal endet man dar­in, 100%-ig das­sel­be zu machen. Manch­mal kann es auch immer noch pas­sie­ren, dass man ein Mal von einem Gewürz etwas mehr oder weni­ger hät­te 'ran­ma­chen kön­nen (ohne die Sache zu verderben).

          Was soweit dabei zählt, wie ich das durch die Pra­xis gelernt habe, ist, das Grund­kon­zept zu ver­ste­hen wie man etwas macht.
          Dazu hel­fen einem natür­lich Rezep­te, Basis­re­zep­te (also sol­che, auf die man auf­bau­en und in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen wei­ter­ma­chen kann; wo die Grund­sub­stanz die­sel­be ist), und ein oder ande­re grund­le­gen­den Erklä­run­gen wie etwas funk­tio­niert und nicht funktioniert.
          - Damit man weiß, wie man wo anfängt bei einem Gericht.

          Sonst, fin­de ich, ist wie­der­um Kennt­nis von Geschmäckern sehr wich­tig. Damit man eine mehr­schich­ti­ge Sache geschmack­lich ent­schlüs­seln und nach­ma­chen kann.
          Und dazu ist es relatv gut, wenn man Sachen sonst eher sehr "pur" schon ver­zehrt hat. Deren natür­li­che Geschmäcker kennt.

          Ich fin­de jeden­falls... Bei den grö­ße­ren Ver­än­de­run­gen in mei­nem Spei­se­plan hat sich am mei­sten getan, als ein­fach sehr viel Input in neu­en Geschmäckern her­ein­kam - aus­pro­biert wurde.
          Also, die "Metho­dik" oder "Ansicht" dazu mit der "Rein­heit" kann ich nur sehr gut ver­ste­hen. Ich wür­de sogar sagen: Sie funk­tio­niert.

        3. Mei­ne Mut­ter koch­te und back­te 'aus der lameng' [sie­he auch → Dat maa­che me us de Lameng], sie kann­te nur ver­schie­de­ne Ergeb­nis­se. Ich höre noch vor mei­nem gei­sti­gen Ohr ihr State­ment der Omni­po­tenz "Ich bin die Mut­ter!", sie dul­de­te weder Kri­tik noch Vor­schlä­ge zum Vor­ge­hen .... und zu aller Fami­li­en­mit­glie­der Bedau­ern schaff­te sie es sogar Nudeln bis zur Unkennt­lich­keit zu verhunzen.
          Soviel zu "Pi mal Daumen"!

          Ich habe zwei Jah­re lang im Gym­na­si­um am "Kochen" teil­ge­nom­men, zusam­men mit mei­nem fast-Nach­barn Wolf­gang Det­te, der wohn­te zwei Häu­ser wei­ter. Wir konn­ten teil­neh­men, weil zwei Koch­stel­len frei waren, denn 12 waren vor­han­den und in den bei­den Par­al­lel­klas­sen waren nur 10 Mäd­chen. Die­se zwei frei­en Plät­ze waren ein Glücks­fall wenn ich es im Rück­blick betrach­te: Wäh­rend mei­nes gan­zen Lebens habe ich davon pro­fi­tiert die­se Grund­la­gen von einer 'gestren­gen' (noch aus BDM-Zei­ten stam­men­den) Leh­re­rin gelernt zu haben. Sie war peni­bel und restrik­tiv, aber im Grun­de doch eine her­zens­gu­te Per­son, die das Beste für ihre Schü­ler wollte. 

          Aus alle­dem wird sicher klar, dass ich zwar Intui­ti­on und Phan­ta­sie als wesent­lich anse­he, es aber hand­werk­lich nicht man­geln darf. Wer kann heut­zu­ta­ge schon noch einen Vanil­le­pud­ding ohne Pud­ding-Mischung aus der Tüte zube­rei­ten? Oder einen Käse­ku­chen backen, ohne Dr. Oet­ker zu bemühen?

          Wir waren von der Fähig­keit von Kin­dern aus­ge­gan­gen mehr oder weni­ger als Erwach­se­ne schmecken zu können:
          Viel­fach wer­den heu­te Kin­der an 'Industrie'-Geschmack adap­tiert - und wenn sie ech­te Früch­te oder Gemü­se oder Toma­ten­sauce bekom­men leh­nen sie die­se ab weil sie nicht so schmecken wie sie es von Fer­tig­pro­duk­ten gewohnt sind.

          [ 🍴 Kochrezepte:
          Wenn ich etwas Neu­es aus­pro­bie­ren will schaue ich mir ver­schie­de­ne Rezep­te an und stel­le mir dar­aus ein eige­nes Vor­ge­hen mit dazu pas­sen­den Men­gen an Zuta­ten zusam­men - mei­stens klappt das. Alle, die ich seit Jah­ren 'bekocht' habe leben noch und kom­men sogar wie­der (auch um bei mir / mit uns zu essen?).]

        4. Ja, was soll ich sagen...
          So ist das, wenn man bei einer Sache völ­lig talent­frei ist, aber es nicht ein­se­hen will. (Ein biss­chen Talent gehört beim Kochen auch dazu.)

          Dass die Kin­der zuneh­mend an den Indu­strie­ge­schmack gewöhnt wer­den, sehe ich soweit sehr in sozia­len Umstän­den begründet.
          Die mei­sten Eltern kön­nen, im Grun­de, nicht wirk­lich kochen, und sie ler­nen es auch immer weni­ger von ihren eige­nen Eltern, daher grei­fen sie auf fer­ti­ge Din­ge zurück, bezie­hungs­wei­se es man­gelt auch an der Zeit, aus­gie­big zu kochen (Was meint man, was man beim Kochen auch an Zeit ein­pla­nen muss...) und dann viel­leicht noch ein biss­chen an der Lust dazu, wenn es auch ein­fa­cher geht.
          Erst wenn ein Kind irgend­wel­che schwe­ren All­er­gien oder Stoff­wech­sel­stö­run­gen hat, sodass man genau hin­schau­en muss, was im Essen drin ist, zwingt die Situa­ti­on, sich damit aus­ein­an­der­set­zen und Eigen­in­itia­ti­ve ergrei­fen zu müs­sen. Maxi­mal noch, wenn es sich um extre­mes Über­ge­wicht han­delt und das Kind nicht schon früh ern­ste kör­per­li­che Schä­den neh­men soll.

          Böse könn­te ich hier sagen: Das ist eine Sache, die mit der Lebens­art kommt, wenn die Leu­te immer nur arbei­ten und das mög­lichst weit weg von ihrem Wohn­ort tun sol­len. Da bleibt näm­lich, zwi­schen Erschöp­fung, Schlaf­be­dürf­nis und schuf­ten gehen, nicht mehr viel Zeit übrig, sich etwas gesun­des selbst zusammenzustellen.
          Nah­rungs­be­schaf­fung muss schnell und unkom­pli­ziert gehen.
          Und das schleppt sich als Ange­wohn­heit auch in das Fami­li­en­le­ben ein...
          Wor­un­ter dann sol­che Din­ge wie "Ent­wick­lung der Kin­der" in viel­fäl­ti­ger Art und Wei­se leiden.

        5. Ja, die Umstän­de sind oft gegen gesun­de und aus­ge­wo­ge­ne Ernäh­rung gerich­tet - aber es glaubt doch wohl nie­mand, dass das irgend­wen von den Ent­schei­dern im Lan­de tat­säch­lich inter­es­siert? Marx¹ hat gesagt "Das Sein bestimmt das Bewusst­sein!" und wenn man es auf das Essen über­trägt wird es son­nen­klar: Er hat­te Recht!
          Zu Zei­ten war es so, dass ich zu Hau­se arbei­te­te und natür­lich erwar­tet wur­de, Essen vor­be­rei­tet zu fin­den, wenn alle die raus muss­ten um Arbeit & Schu­le zu besu­chen, wie­der zurück kamen. Das ging nur indem ich mei­ne Arbeit - die ich im damals noch nicht als 'home office' bezeich­ne­ten Büro erle­dig­te - lie­gen ließ. Dann muss­te ich es eben spä­ter am Tag erle­di­gen und eng wur­de es nur, wenn Ter­mi­ne sehr knapp ver­ein­bart waren .... 

          ¹ dort → https://falschzitate.blogspot.com/2020/09/das-sein-bestimmt-das-bewutsein-karl.html wird behaup­tet, das Zitat wer­de fälsch­li­cher­wei­se Marx zuge­ord­net, was ich nach den dor­ti­gen Aus­füh­run­gen nicht erken­nen kann.

        6. Nun... In frü­he­ren Zei­ten, wo es das ande­re alles nicht gab - Vor­ge­fer­tig­stes, Fast Food -, da pass­te sich der Mensch die­ser Sache ein­fach an, weil er kei­ne ande­re Wahl hatte.
          Wenn es die­se Wahl gibt, ja... dann ent­schei­det der Mensch sich mehr­heit­lich für den gering­sten Aufwand.
          Wohl­ge­merkt, eine Aus­nah­me ist, wenn er aus ver­schie­de­nen Grün­den die­sen (kur­zen) Weg nicht neh­men kann...

          (Was lernt man dar­aus? Die Faul­heit des Men­schen muss man bedie­nen, wenn man ihn zu etwas ihm wohl­tu­en­den nöti­gen will, ohne dass er es als das empfindet.)

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