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Jede formale Bildung hat ihre Grenzen. Unser Schulsystem ist zwar immer noch eines der besten der Welt, aber die Inhalte wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr verwässert. Insbesondere die Naturwissenschaften.
Ein - wesentlicher - Grund dafür ist offensichtlich aber doch weitgehend unbekannt oder verschwiegen:
Sich naturwissenschaftliche Kenntnisse anzueignen erfordert mehr als bloßes Auswendiglernen - bei den Naturwissenschaften kommt es darauf an Erkenntnisse zu übertragen und das geht nur, wenn man in der Lage ist komplexe Zusammenhänge zu erfassen und deren Wirkung aufeinander zu verstehen.
Der so gewonnene Erkenntnisschub läßt sich aber schwer messen - und gerade deswegen ist es viel einfacher auswendig gelernte Fakten abzufragen:
In einer Zeit wo "PISA"-Tests die Qualität von Bildung 'messen' gewinnt das Land, dessen Schüler möglichst gut auswendig lernen. Nicht das Land, in dem die Schüler gelernt haben Zusammenhänge zu verstehen und sie auf unbekannte Probleme zu übertragen.
Kein Wunder also, wenn der Schwerpunkt sich von "Erkenntnisgewinn" zu "Auswendiglernen" verlagert hat.
Eine weitere Entwicklung fördert diese Tendenz zusätzlich:
Es werden von den Unternehmen 'Spezialisten' gesucht, solche Menschen, die in einem kleinen Bereich vertiefte bis sehr tiefe Kentnisse haben. So etwas geht nur, wenn man sich auf ein sehr enges Wissensfeld konzentriert - was zur Vernachlässigung des Überblicks in dem jeweiligen Fachgebiet führen muß.
Im nächsten Teil (2) zum Thema "Unwissenheit" werde ich ein paar Beispiele für die Notwendigkeit von Grundkenntnissen in den verschiedenen Naturwissenschaften und ihren Randgebieten geben - auch für solche Berufe und Aufgabenstellungen, die zunächst nicht direkt mit solchen Kenntnissen verknüpft werden.
⇨ weitere Teile zu diesem Thema folgen ....
"... aber die Inhalte wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr verwässert. Insbesondere die Naturwissenschaften."
Die Inhalte wurden verwässert? Wie meinen Sie das?
"verwässert" bedeutet:
→ bis etwa 1990 wurden je vier Unterrichtsstunden für
→ Biologie,
→ Chemie,
→ Physik pro Woche gegeben, für
→ Mathematik fünf Stunden pro Woche.
Mathe lief durch bis zum Abitur, dazu eine Naturwissenschaft.
→ Später - in den Bundesländern zeitlich verschieden - wurden die Stunden auf vier insgesamt für Biologie, Chemie, Physik pro Woche geschrumpft, Mathe auf vier Stunden pro Woche.
Die Stunden beziehen sich auf die Mittelstufe, d.h. ein Jahr Biologie, nächstes Jahr Chemie, drittes Jahr Physik - also eine Reduzierung um ⅔ der vorherigen Stunden. Oberstufe: Je nach Wahl - aber immer mindestens eine Naturwissenschaft bis Klasse 11, dazu Mathe bis Klasse 12 bzw. 13 (nach Bundesland).
→ Mit Einführung des Leistungskurs-Systems wurde es sogar möglich das Abitur ohne jede Naturwissenschaft (und in einigen Bundesländern ohne Mathematik) im Stundenplan zu machen.
Ich sehe das schon auf die anderen Fächer übergreifen:
... in Deutsch herrscht Sprachlosigkeit ... in Geschichte reicht Betroffenheit ... in den Fremdsprachen machen alle einen Crashkurs ... Sport wird durch Diätpillen ersetzt ... und die Lehrer lernen schießen ---
Das hat schon auf die anderen Fächer übergegriffen ...!
Mindestens behaupten das die Personalleute einger Firmen die ich als Seminarteilnehmer hatte:
Anstatt "Wissen" wird ihnen "Meinung" präsentiert - wobei die jungen Leute den Unterschied nicht mehr verstehen. Eine Folge der Diskussionskultur in den geisteswissenschaftlichen Fächern wo es nicht auf Wissen ankommt sondern darauf "in" zu sein und damit Gewicht zu haben ....
Und auf welcher Grundlage diskutiert man, wenn man nichts weiß?
Aber ich verstehe schon, was Sie meinen. Die pubertäre Meinungsvielfalt, die sich (allenfalls) mit Zitaten schmückt, scheint in der Schule tatsächlich gepflegt zu werden. Nun ja, den Schülern kann man es eigentlich nicht vorwerfen.
Das tue ich auch nicht - Schüler sind nicht das Problem, sondern die Kultusbürokratien, in denen die Karriere-Pädagogen sitzen und ständig systemkonforme [also das neo-liberale Wirtschaftsgefüge stützende & bedienende] Reformen aushecken.
Wenn deren Arbeit sinnvoll wäre müßten wir eine viel bessere Förderung der Schüler im Laufe der Jahrzehnte erkennen können.
Was wir aber sehen ist eine Reduzierung der Fachstundenzahlen und eine Minimierung des Abiturwissens - die Leistung eines Abiturienten von heute entspricht (Leistungskursfächer ausgenommen!) etwa dem, was vor 50 Jahren der 'Mittleren Reife' entsprach - und das setzt sich nach unten fort ....
Als Ergebnis haben wir eine Akademikerschwemme bekommen - weil frühere FH-Studien jetzt weiter nivelliert durch Bachelor/Masters-Abschlüsse eine Qualifikation* vortäuschen, die nicht vorhanden ist.
In Folge dessen sind die "echten" Akademiker unter Druck geraten und man zahlt den nach unten abgestuften Absolventen das, was man vor dreissig Jahren nicht einmal einem Facharbeiter angeboten hätte.
Das geht so weit, dass sich junge Leute mit guten Leistungen zunehmend fragen ob es sich überhaupt noch lohnt Zeit & Geld einzusetzen um zu studieren ....
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Ein besonders schönes Beispiel ist da die "Fachakademie für Sozialpädagogik" - eigentlich war das schon immer eine "Berufsschule für Kindergärtnerinnen" (in Form von Blockunterricht, unterbrochen durch Praktika) - aus der wurde dann eine "Fachhochschule für Sozialpädagogik" und jetzt ist es der Universitäts-Studiengang (!) "Sozialpädagogik" .... eine Aufwertung um zwei Stufen bei gleichzeitiger Reduzierung (!) der realen Bezüge .... was für eine Farce.
Aber die Teilnehmerinnen sind "Studentinnen".
Welcher Aufstieg.