Alle im gleichen Boot

Wer hier liest und kom­men­tiert ist weit ent­fernt von dem Gedan­ken­ge­bäu­de - wenn man es als sol­ches bezeich­nen kann - das in den Köp­fen der AfD-Wäh­ler des Ostens zurecht gezim­mert ist. Aus Dis­kus­sio­nen mit Anhän­gern der AfD weiß ich, nein, habe ich eine vage Vor­stel­lung wie die­ses Gebäu­de aussieht.

Aus­ge­fil­ter­te Argu­men­te die zum "Lei­den" des Ostens gehören:
Zuerst die (nicht zu leug­nen­den, immer noch nicht auf­ge­ar­bei­te­ten) Unta­ten der Treu­hand ¹, deren unge­nann­te Auf­ga­be es war Ost­fir­men, die eine Kon­kur­renz für eta­blier­te West­fir­men hät­ten wer­den kön­nen, *abzu­wickeln*. Dann die gebro­che­nen Ver­spre­chen der eta­blier­ten Par­tei­en, die all­zu zöger­li­che Anpas­sung der Lebens- und Ver­dienstumstän­de, das Groß­manns­geh­abe der ein­ge­wan­der­ten West-Fir­men, die stets durch­blicken las­sen, wie groß­zü­gig es doch von ihnen sei sich dort nie­der­zu­las­sen und für Arbeit zu sor­gen ... und so weiter.

Wer im Osten der Wen­de­zeit pfif­fig war ist abge­wan­dert. Fach­kräf­te und vor allem jün­ge­re Frau­en. Den dort Geblie­be­nen feh­len (weit­ge­hend) die Fer­tig­kei­ten sich zu ori­en­tie­ren, ihr Leben aktiv zu gestal­ten. Denn das war etwas, was ihnen der DDR-Staat abge­nom­men hat, der sie an der Hand führ­te und ver­sorg­te und dafür nichts ande­res ver­lang­te, als das sie das Maul hiel­ten und der Par­tei kei­ne Pro­ble­me machten.

Das sind nun die Par­tei­gän­ger / Wäh­ler der AfD. Die als Rat­ten­fän­ger auf­tritt und Wohl­ta­ten ver­spricht, wohl wis­send, dass die Mas­se der Men­schen dort nicht ihr Par­tei­pro­gramm lesen wird. Son­dern das glaubt, was münd­lich oder per Medi­en trans­por­tiert wird. Geschickt nutzt man das Miss­trau­en gegen­über den eta­blier­ten Par­tei­en, den Wes­sis aus, die viel ver­spro­chen haben - aber nicht lie­fer­ten, oder wenn, sehr zöger­lich und immer nur Bruch­tei­le des­sen, was ver­spro­chen war.

Im Osten, der frü­he­ren DDR, blie­ben die "Frem­den" ("Gast­ar­bei­ter") immer nur für bestimm­te Zeit. Sie hat­ten eine feste Zahl von Jah­ren oder Mona­ten, dann muss­ten sie wie­der ab nach Hau­se. Der Kon­takt zur Bevöl­ke­rung hielt sich in engen Gren­zen. Das ist es, was das *frem­deln* der ehe­ma­li­gen DDRler gegen­über anders­far­bi­gen Men­schen aus­macht. Die "Frem­den" blei­ben - und das macht Angst.

Wäh­rend wir seit der ersten Gast­ar­bei­ter­wel­le aus Grie­chen­land, Spa­ni­en und Ita­li­en an der­glei­chen bun­ten Bevöl­ke­rungs­zu­wachs gewöhnt wur­den. Erst mit der unstruk­tu­rier­ten Ein­wan­de­rung tür­ki­scher Men­schen aus Gebie­ten, die sich kul­tu­rell extrem von unse­rer Gesell­schaft unter­schie­den, haben wir hier eine ähn­li­che Ableh­nungs­wel­le gehabt. Die zwar nicht kom­plett über­wun­den ist, sich aber zu einem Teil durch die Assi­mi­la­ti­on von gan­zen Gene­ra­tio­nen entschärfte. 

Ein­mal abge­se­hen von den fun­da­men­ta­li­stisch-extre­mi­stisch den­ken­den Natio­nal­tür­ken, die hier­zu­lan­de ohne viel Lei­stung zu zei­gen, und ohne sich anpas­sen zu wol­len, den guten Ruf ihrer Lands­leu­te, die hier ihre Hei­mat gefun­den haben, durch ihr rot­zi­ges, auf­ge­bla­se­nes Geha­be ver­der­ben. Gleich­zei­tig aber alle Wohl­ta­ten des deut­schen Staa­tes in Anspruch neh­men und oft neben staat­li­cher Unter­stüt­zung noch unan­ge­mel­de­ten Beschäf­ti­gun­gen nach­ge­hen, die ihnen Lohn als Sach­lei­stun­gen zur Ver­fü­gung stel­len. Aber ich schwei­fe ab ....

Das fehlt im Osten (fast) völ­lig ² - und zusam­men mit gebrem­ster intel­lek­tu­el­ler Kapa­zi­tät der dort ver­blie­be­nen Bevöl­ke­rung ist ein gefähr­li­ches Gemisch aus Angst, ent­täusch­ter Hoff­nung und Fata­lis­mus ent­stan­den, das den Nähr­bo­den für Faschi­sten darstellt.

Habe ich eine Idee wie man das Dilem­ma löst?
Ja, indem man Hoff­nung erfüllt.

Wird das wahr werden?
Nein, denn die regie­ren­den Par­tei­en wer­den wei­ter - im Sin­ne des Kapi­tals - des­sen Inter­es­sen vor die der Ost­be­völ­ke­rung stel­len. So wie bei uns auch, nach­dem zuletzt die Regie­run­gen Schrö­der die Arbei­ter­schaft ver­ra­ten haben, die Gewerk­schaf­ten zer­schlu­gen und sich zu Knech­ten des Kapi­tals machten.

Was wir erken­nen müssen:
Die Tat­sa­che, dass wir kei­ne Demo­kra­tie mehr sind. Die Par­tei­en­struk­tur, deren Estab­lish­ment, ver­hin­dert demo­kra­ti­sche Ent­schei­dungs­fin­dung und deckt die­se Tat­sa­che mit dem Begriff "reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie" zu.

Was wir ver­ste­hen soll­ten ist:
Wir sit­zen mit dem Osten im glei­chen Boot. Unser ein­zi­ger Vor­teil ist, dass wir in den ersten Jah­ren der Bun­des­re­pu­blik noch Chan­cen und Frei­hei­ten hat­ten, die im Osten fehl­ten. Wir des­we­gen mehr *Spiel­raum*, ein bes­se­res Selbst­be­wusst­sein haben. Gera­de genug, um nicht den Mäch­ti­gen als Gefahr zu erschei­nen. Wer genau hin­schaut erkennt die Mecha­nis­men wie mitt­ler­wei­le sub­til dafür gesorgt wird die Schrau­ben enger anzuziehen: 

Über­wa­chungs­maß­nah­men und mehr Rech­te für staat­li­che Stel­len, Ein­grif­fe in die Pri­vat­sphä­re, Schlei­fung von bis­her grund­ge­setz­lich garan­tier­ten Rech­ten durch 'Not­ver­ord­nun­gen' oder mit dem Argu­ment der 'Ter­ror­be­kämp­fung', Restrik­tio­nen bei der Mei­nungs­äu­ße­rung, und weit­ge­hend gleich­ge­schal­te­ter Infor­ma­ti­ons­zu­gang durch welt­weit ope­rie­ren­de Medienkonzerne. 


Nun ist noch das Inter­net als Ven­til da - und all­mäh­lich haben selbst die Poli­ti­ker erkannt, dass ihnen die Mei­nungs­ho­heit ent­glit­ten ist und sie ver­su­chen, das wie­der 'ein­zu­fan­gen'. Indem sie das Inter­net zu regu­lie­ren suchen. Wie sag­te kürz­lich noch Frau Kramp-Kar­ren­bau­er? Man brau­che "Regeln gegen Mei­nungs­ma­che".
Die rich­ti­ge Ant­wort ist da: #nie­wie­der­cdu, #nie­wie­derc­su. Und wenn wir schon 'mal dabei sind gleich noch: #nie­wie­der­spd, #nie­wie­derfdp, und #nie­wie­der­grü­ne.

 

Was "Vor­ge­hen gegen Mei­nungs­ma­che" bedeu­tet kann man in tota­li­tä­ren Regi­men sehen. Des­we­gen ist nicht die AfD (#nie­mal­safd) die größ­te Gefahr in unse­rem Land, son­dern es sind die Poli­ti­ker vom Schla­ge See­ho­fer, Herr­mann, Schäub­le, Strobl, und so wei­ter ... die im Schafs­pelz daher kom­men und Krei­de fres­sen um von ihren wah­ren Absich­ten anzulenken. 

¹ ".. Die DDR wur­de zwei­mal verscherbelt
Ein­mal von Michail Gor­bat­schow 1990 für 18 Mil­li­ar­den Deut­sche Mark; Hel­mut Kohl zahl­te den völ­lig über­höh­ten Preis locker mit Steu­er­gel­dern. Zum zwei­ten Mal wur­de die DDR durch die Treu­hand­an­stalt von Bir­git Breu­el verkauft.
Die Treu­hand nahm küm­mer­li­che 34 Mil­li­ar­den Deut­sche Mark für die gesam­ten volks­ei­ge­nen Betrie­be ein und mach­te 245 Mil­li­ar­den Deut­sche Mark Ver­lust, weil sie die volks­ei­ge­nen Betrie­be qua­si an die west­deut­che Indu­strie ver­schenk­ten .." [Die Unta­ten Hel­mut Kohls]

² ".. In Ost­deutsch­land ist der Kon­takt zu Mus­li­min­nen und Mus­li­men in den Berei­chen Fami­lie, Freun­des- bzw. Bekann­ten­kreis, Arbeits- bzw. Aus­bil­dungs­platz sowie Nach­bar­schaft eher schwach aus­ge­prägt. So geben Befrag­te mehr­heit­lich – bei gra­du­el­len Unter­schie­den zwi­schen den Bun­des­län­dern – an, nie Kon­takt zu Mus­li­min­nen und Mus­li­men in den betrach­te­ten Berei­chen zu haben. Dabei unter­schei­den sich die ein­zel­nen ost­deut­schen Bun­des­län­der nicht nen­nens­wert von­ein­an­der. Im Durch­schnitt - über alle Kon­takt­räu­me hin­weg - geben unge­fähr 70 Pro­zent der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger an, kei­nen Kon­takt zu Mus­li­min­nen und Mus­li­men zu haben. In West­deutsch­land liegt der ent­spre­chen­de Anteil bei unge­fähr 40 Prozent .."
[Ost­deutsch­land post­mi­gran­tisch Ein­stel­lun­gen der Bevöl­ke­rung Ost­deutsch­lands zu Mus­li­min­nen und Mus­li­men in Deutsch­land; S.39]

Wei­te­re Quellen:
- Sün­den­bock Treuhand
- Toten­grä­ber der ost­deut­schen Wirt­schaft? Die Treu­hand­an­stalt und die Fol­gen ihrer Poli­tik.


- Wie viel Mil­lio­nen sind es wirklich?
- Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit der Deut­schen nach Bun­des­län­dern im Jahr 2011
- Anzahl der Mus­li­me in Deutsch­land nach Glau­bens­rich­tung (Stand vari­iert von 2005 bis 2017*; in 1.000)
- Wer gehört zu Deutsch­land? Ost­deut­sche und Mus­li­me tei­len nicht nur Aus­gren­zungs­er­fah­run­gen – son­dern auch Kli­schees, die West­deut­sche von ihnen haben.

PS
Mei­ne Aus­füh­run­gen basie­ren auf dem, was ich in den Jah­ren '90-'94 durch län­ge­re Auf­ent­hal­te als Unter­rich­ten­der in der Erwach­se­nen­bil­dung in Thü­rin­gen in Gesprä­chen erfah­ren, gese­hen & gehört habe. In den Fol­ge­jah­ren war ich - mit Aus­nah­me der Zeit in USA von '99-'02 - immer wie­der ein­mal in den öst­li­chen Bun­des­län­dern. Mei­ne Erfah­run­gen sind also per­sön­li­cher Natur und stel­len kei­nen all­ge­mein­gül­ti­gen Sach­stand dar.

Kommentare

  1. Einen Punkt will noch anmer­ken, aller­dings ist die­ser kei­ner, der geson­dert im Osten auf­tritt, son­dern auch in diver­sen west­li­chen Län­dern: Struk­tu­rel­le Verödung.
    Die syste­ma­ti­sche Ver­wil­de­rung der Land­stri­che, die Ver­schie­bung von allem auf gro­ße Zen­tren und die gro­ßen Städ­te (Zen­tra­li­sie­rung).

    Die Men­schen zie­hen aufs Land oder bau­en sich ihre Häu­ser dort, weil sie der Groß­stadt ent­kom­men wol­len (wenn sie das Geld dafür haben), auf der ande­ren Sei­te gibt es dort nichts wei­ter außer Woh­nen - man hat kei­ne loka­le Ein­kaufs­mög­lich­keit, muss für alles in die Stadt fah­ren, ist aufs Auto ange­wie­sen, kann kei­nen Brief ver­schicken oder sich auch nur die Haa­re schnei­den las­sen. (Übri­gens: Sehr klimafreundlich.)
    So sehr man die gro­ße Stadt auch hasst, man ist gera­de­zu abhän­gig von ihr.
    Das alles war mal sehr anders. Überall.
    Aus die­sen Gefil­den spei­sen sich die Neu-Brau­nen eben­so (auch wenn sie selbst für kei­ne Abhil­fe sor­gen würden).

    Zu Sach­sen und die ande­ren AfD-Hoch­bur­gen im Süden, muss ich sagen, bis­her ist es für mich nicht ersicht­lich gewor­den, war­um dort solch eine feste Ten­denz nach rechts vor­han­den ist - was für ein Kraut die rau­chen oder was dort im Was­ser ist, dass sie so fest die Posi­tio­nen der Brau­nen unterstützen.
    Mitt­ler­wei­le wür­de ich das nicht mehr nur auf die Zeit nach der Wen­de bezie­hen, son­dern da steckt etwas wei­ter zurück­rei­chen­des, tief­grün­di­ge­res dahin­ter. So etwas wie "Men­ta­li­tät" oder der­glei­chen. Man sieht es dar­an, dass der Nor­den oder Bran­den­burg längst nicht so auf eine rech­te poli­ti­sche Schie­ne ver­na­gelt ist.
    Knapp 30 Jah­re CDU-Herr­schaft in Sach­sen sagen näm­lich auch etwas über einen aus. 

    Die­se Ent­wick­lung der Din­ge kommt nicht über Nacht; und selbst dass die CDU so lang schon dort regie­ren darf - es wird sei­ne Grün­de geben, war­um man sie nach der Wen­de gewählt hat und dann spä­ter an ihr fest­hielt, obwohl die CDU am mei­sten die Abriss­bir­ne gegen die volks­ei­ge­nen Betrie­be geschwun­gen hat.
    In der Psy­cho­lo­gie wür­de man so etwas "Stock­holm-Syn­drom" nen­nen. Oder aber etwas ist im Spiel, was man sich als Außen­ste­hen­der zu der Gegend nicht zusam­men­rei­men kann.

    1. Dan­ke für die Erwei­te­rung in Hin­sicht Stadt-Land. Die­se Ten­denz scheint sich - min­de­stens in eini­gen Län­dern - gera­de wie­der umzu­keh­ren. Über den Grund kann man nur spe­ku­lie­ren, ich bin aller­dings über­zeugt, dass es eine Fra­ge der Finan­zen ist: Vie­le jun­ge Fami­li­en möch­ten gern ein Eigen­heim haben, kön­nen aber die hor­ren­den Prei­se in Städ­ten nicht bezah­len ohne sich unglück­lich zu machen. Des­we­gen wei­chen sie ins Umland von Groß­städ­ten aus - mit den Fol­gen, die Sie tref­fend beschrie­ben haben: Für vie­le Erle­di­gun­gen müs­sen gro­ße Wege in Kauf genom­men wer­den. Das ist weder für die Fami­li­en, noch für ihre Finan­zen, und schon erst recht nicht für die Umwelt gut.

      Die poli­ti­sche Grund­stim­mung und die Ten­denz 'rechts' zu wäh­len ist in bestimm­ten Land­stri­chen offen­bar latent vor­han­den und kommt zum Aus­druck, wenn die Rah­men­be­din­gun­gen vor­teil­haft sind. Aus der Bio­lo­gie gibt es Ana­lo­gien, wie bei­spiels­wei­se die "Samen­ru­he" oder Dor­manz, bzw. ver­zö­ger­te Tra­ge­zeit bei man­chen Säu­ge­tie­ren. Ich spe­ku­lie­re hier, es gibt kei­ne mir bekann­ten *Bewei­se* für die­sen Gedan­ken - aller­dings, denkt man an Schle­si­en(& Sach­sen), Tsche­chi­en und die Ent­wick­lung im 19. und 20. Jahr­hun­dert, so drängt es sich irgend­wie auf.

      Die CDU hat es nach der *Wen­de* geschickt ver­stan­den frü­he­re Ost-CDU­ler in ihre Rei­hen zu inte­grie­ren und zu ver­schlei­ern, inwie­weit die Treu­hand­ak­ti­vi­tä­ten CDU-gesteu­ert waren. Daher konn­ten Vie­le in den öst­li­chen Bun­des­län­dern - noch wenig ver­traut mit den Gege­ben­hei­ten der west­li­chen Poli­tik­ge­pflo­gen­hei­ten - die Ver­knüp­fun­gen nicht sehen oder deu­ten. Das hat sich in den letz­ten Jah­ren zuneh­mend geän­dert, und ins­be­son­de­re mit­tel­al­te Men­schen ten­die­ren nun nach rechts weil sie sich von den eta­blier­ten (zu Recht!) ver­schau­kelt fühlen.

      * edit *
      Ein *.pdf zum The­ma mit vie­len Daten

    2. Im Prin­zip ist das etwas, was ich meinte.
      Die Leu­te kau­fen oder bau­en sich Häu­ser im länd­li­chen Raum, weil sie es sich dort über­haupt lei­sten kön­nen, aber mit ihnen keh­ren kei­ne vor­her da gewe­se­nen Struk­tu­ren zurück, die mit dem Bevöl­ke­rungs­schwund begrün­det einst ver­schwan­den (aus­ge­nom­men Pfle­ge­dien­ste, wenn sich Alte von weit weg bil­lig ein Domi­zil zum Ster­ben für den Lebens­abend kaufen).
      Die­se Men­schen woh­nen ledig­lich dort, ihr Lebens­mit­tel­punkt bezüg­lich Akti­vi­tä­ten liegt aber nach wie vor in der gro­ßen Stadt. Die Kin­der gehen dort zur Schu­le, weil es im Ort kei­ne mehr gibt, die Eltern arbei­ten in der Stadt (u. a. auch, weil es im Ort kei­ne Arbeit gibt), Geschäf­te und Ein­käu­fe erle­digt man auch in der Stadt, weil es das auf dem Dorf nicht mehr gibt.
      Frü­her, ganz beson­ders zu DDR-Zei­ten war das alles vor­han­den bzw. die Poli­tik bemüh­te sich auch um eine dem­entspre­chen­de Ent­wick­lung, weil man dem Men­schen irgend­et­was bie­ten muss, damit er auf dem Lan­de wohnt und nicht in der Stadt (und die­se aus allen Näh­ten platzen).

      Jetzt ist die­ser Pro­zess ledig­lich eine Ver­la­ge­rung der Bevöl­ke­rung von "in die Höhe" (Hoch­haus) in die Brei­te (alle woh­nen ver­streut im Speck­gür­tel und ihren Eigen­hei­men auf dem Land) auf­grund von Preiswucher.
      Dem schließt sich aber kei­ne son­sti­ge struk­tu­rel­le Ent­wick­lung an.
      Mitt­ler­wei­le ist in der Wirt­schaft ein von Groß­kon­zer­nen domi­nier­tes Feld - und die­se inter­es­sie­ren sich nicht das Land, weil der Pro­fit dort eher durch Flä­che als durch Mas­se gene­riert wür­de. Es wäre eher das Prin­zip "Klein­vieh macht auch Mist" (was sich sonst der Klein­ge­wer­b­e­in­ha­ber zu Nut­ze macht).
      Die den­ken nur in Mega-Pro­jek­te von irr­sin­ni­ger Grö­ße mit dem gering­sten auf­zu­wen­den­den Auf­wand dafür, damit der Gewinn am größ­ten ausfällt.

      Die­se Form der struk­tu­rel­len Ver­ödung - ganz beson­ders die Älte­ren, die etwas mehr Lebens­er­fah­rung haben, haben das nicht ver­ges­sen. Teil­wei­se, mit dem Alter, wäre es sogar zuträg­lich, wenn das in rela­tiv naher Umge­bung wäre, da, wenn der Kör­per schwä­cher wird, der eige­ne Akti­ons­ra­di­us (ohne Hil­fe durch ande­re) nicht mehr so groß ausfällt.
      (Was meint man, war­um der Staat nicht an die Füh­rer­schei­ne der Alten 'ran will - dann müss­te er ja Ver­sor­gungs­struk­tu­ren auf die Bei­ne stel­len, damit die Alten in den Dör­fern belie­fert wer­den, wenn sie ohne Auto und ohne Fahr­erlaub­nis nicht selbst ein­kau­fen können.)

      Die­se Form der struk­tu­rel­len Ver­ödung ist aber im Zuge der schlei­chen­den Mono­po­li­sie­rung der Wirt­schaft und des Han­dels gene­rell über­all pas­siert - das ist nicht nur ein Phä­no­men des Ostens, son­dern eines des gesam­ten Westens.
      Wie gesagt, weil man in einer Welt lebt, in der Groß­kon­zer­ne die Wirt­schaft domi­nie­ren - und die inter­es­sie­ren sich nicht für länd­li­che Gegenden.
      Klein­ge­wer­be hat es dage­gen unge­mein schwer, sich zu behaup­ten; dar­um kehrt die­ses auch nicht als "Ersatz" für die man­geln­den Pro­jek­te der Groß­kon­zer­ne in die Gemein­den zurück.
      Letzt­end­lich bleibt dadurch eine Land­schaft von Gemein­den zurück, die wie "abge­schrie­ben" sind - und die­je­ni­gen, die dort leben, sind fru­striert mit ihrer Situa­ti­on. Wer kann, läuft weg - aber nicht alle Leu­te kön­nen mehr phy­sisch weg­lau­fen oder haben das Geld dafür oder den Wil­len dazu...

      Auf mich wirkt die Stim­mung in den süd­li­che­ren Gebie­ten ein biss­chen wie... der Mensch klebt zu sehr an dem Gedan­ken sei­ner Lei­stungs­fä­hig­keit und ange­nom­me­ne Lebens­be­rech­ti­gung, die er sich dar­auf einbildet.
      Ob das noch zurück­zu­füh­ren ist auf die pro­te­stan­ti­sche Arbeits­mo­ral (die auch das DDR-System sub­til in sich wei­ter trug) weiß ich nicht. Wäre mir ohne umfang­rei­che­res Wis­sen zu spekulativ.
      Jeden­falls - der Nihi­list in mir will gern oft dazu sagen: "Men­schen, hört auf, euch etwas dar­auf ein­zu­bil­den, was eure Hän­de kön­nen. Wen wollt ihr damit beein­drucken? Von eurer Tüch­tig­keit wer­det ihr kei­ne bes­se­ren Men­schen oder kommt dem lie­ben Gott ein Stück näher."
      In frü­he­ren Zei­ten ohne Sozi­al­sy­ste­me war das gewiss ein­mal anders, da war das Gegen­teil von Arbeit­sam­keit gleich­zu­set­zen mit "ver­hun­gern", hat­te also sei­ne prak­ti­sche Berech­ti­gung, aber heu­te ist die­se Denk­wei­se hier nicht mehr not­wen­dig. Es ist eher so, dass Men­schen hier schon über­flüs­sig (im Sin­ne der Pro­duk­ti­on) sind; ihre Auf­ga­be besteht ledig­lich noch dar­in, die Res­sour­cen zu ver­brau­chen und Kon­sum­gü­ter zu kau­fen. Genau dar­um braucht sich der Mensch nicht mehr irgend­was auf sich ein­bil­den bezüg­lich sei­nes "Wer­tes", bloß wenn er tüch­tig ist. Das alles ist im höhe­ren Kon­text bereits ziem­lich unwich­tig gewor­den (neben­bei bemerkt: In den Zustand der Unfä­hig­keit, tüch­tig zu sein, kom­men alle frü­her oder später.)
      Zudem - genü­gend von den Markt­schrei­ern und Wäh­lern der Rech­ten sind in die­sem Sinn schon bereits nicht mehr selbst aktiv. Ent­we­der zu doof oder zu alt und die Kno­chen kaputt geschun­den von ihrer wun­der­schö­nen Arbeit.
      Was soll das also für einen "Wert" bezüg­lich der eige­nen Per­son erge­ben? Offen­sicht­lich fällt einem auch kein Stein vom Him­mel auf den Kopf, wenn man nicht täg­lich 110%-ige Lei­stungs­be­reit­schaft erbringt. (Frü­he­re Taten schei­nen dabei auch nicht zu zählen.)

      Das kann natür­lich sein, dass die Ver­bin­dun­gen von damals akti­ven Prot­ago­ni­sten mit struk­tu­rell wei­ter­rei­chen­den Pro­zes­sen erst nach gewis­ser Zeit offen­kun­di­ger wurden...
      Aller­dings wür­de ich in dem Punkt mei­nen, das hät­te man auch schon weit­läu­fig vor 10 oder 15 Jah­ren für sich her­aus­fin­den kön­nen. Und bis auf einen Abste­cher der NPD im säch­si­schen Land­tag als Pro­test­wahl kam nichts zustan­de... (und dabei war das The­ma "das Unrecht der Treu­hand" noch gar nicht auf dem Tisch)
      Die Herr­schaft der CDU unge­bro­chen in dem Gebiet. Erst jetzt gerät die­se all­mäh­lich ins Wanken.

      1. Vie­les was im Osten der Repu­blik seit der *Wen­de* pas­sier­te ist ein Lehr­stück in Sachen "Kapi­ta­lis­mus". Ich den­ke da immer zuerst an die Geschwin­dig­keit, mit der der Stra­ssen­bau in Gang gesetzt wur­de: Was frü­her (im Westen noch immer) jahr­zehn­te­lang dau­er­te wur­de plötz­lich inner­halb von zwei oder drei Jah­ren erle­digt. Logi­stik ist die Lebens­ader für 'pro­fit', und wenn man dem Göt­zen 'Wachs­tum' die­nen will muss die freie Fahrt gewähr­lei­stet sein. 

        Was zwi­schen den erzeu­gen­den und ver­brau­chen­den Zen­tren liegt ist nicht von Bedeu­tung, es folgt dem 80:20 Pare­to-Prin­zip, die 80 % 'Flä­che' sind ver­nach­läs­sig­bar, weil sie nur 20% der Ein­künf­te generieren.

        Die Par­tei­en neh­men sich (fast) alle nichts, und selbst bei der Lin­ken sind die Ten­den­zen bei "mit­ma­chen und sich nicht län­ger gegen den kapi­ta­li­sti­schen Gedan­ken sträu­ben" angekommen.

  2. "Lehr­stück in Sachen Kapi­ta­lis­mus" - ja, so könn­te man es nennen.
    Der Kahl­schlag und die "wir brau­chen euch nicht, wir brau­chen nur euer Geld und eure Ländereien"-Strategie kam inner­halb weni­ger Jah­re (unter dem Deck­man­tel "ihr seid plei­te" - Wiederholung/Präsenzbeispiel: Griechenland).
    Wäh­rend der Rest der Welt das zwar lang­sam, aber aller­dings inzwi­schen ins­ge­samt auch zu spü­ren bekommt.

    Das ist mit auch der Grund, war­um die Lin­ke an Wäh­lern im Osten ein­büßt. Sie ist zu einer "wir wol­len auch am Tisch sitzen"-Partei ver­kom­men und setzt sich nicht mehr für ihr trad­ti­tio­nel­les Publi­kum ein.
    Neben­bei, dass sie sich in Kurs­rich­tung ame­rik­an­si­che Iden­ti­ty Poli­tics zuwen­den - was für Deutsch­land allein schon des­halb sehr unsin­nig ist, weil hier längst nicht so viel Bedeu­tung einer Haut­far­be oder einer Reli­gi­on zuge­mess­sen wird (auch weil hier weni­ger klei­ne Sek­ten­grup­pie­run­gen frei agie­ren dürfen).
    (Und selbst wenn, auf­grund der deut­schen Geschich­te soll­te man das in Rich­tung bei­der Sei­ten eher nicht begrü­ßen. Man woll­te das schließ­lich ein­mal abschaf­fen - wegen der Taten der Nazis.)

    1. Grie­chen­land ist ein Para­de­bei­spiel auch in ande­rer Hin­sicht: Dort wur­de der Bevöl­ke­rung etwas vor­ge­lo­gen - und im Hin­ter­grund gemau­schelt - und betei­ligt als trei­ben­de Kraft der bei­na­he ver­ur­teil­te Schäub­le, der da schon ein­mal Finan­zen jon­gliert hat­te und spä­ter Gedächt­nis­schwund höch­sten Gra­des bekam als er vor gericht stand (jeder 'nor­ma­le' Mensch wäre da ver­ur­teilt wor­den!). Zu Grie­chen­land habe ich meh­re­re Arti­kel hier im Blog.

      Bei der Lin­ken läuft lei­der sehr viel schief, ergän­zend noch die Sache mit der Reli­gi­on, dann die Unfä­hig­keit aus Regie­rungs­be­tei­li­gung etwas zu machen, etwa mehr Pro­pa­gan­da für Geleistetes.

    2. Oh, stimmt, noch so eine Par­al­le­le... Der war damals bei der ersten Plün­de­rung auch mit dabei.

      Bei der Lin­ken wür­de ich den Pro­zess (okay, das ist jetzt per­sön­li­che Ver­schwö­rungs­theo­rie...) aller­dings nicht zwin­gend als einen Pro­zess von innen her­aus aus der Par­tei kom­mend sehen. Das erscheint mir mehr von außen erwirkt wor­den zu sein - indem, dass man Leu­te mit einer bestimm­ten Denk­wei­se in die Par­tei ein­schleust, um sie ideo­lo­gisch und inhalt­lich zu infiltrieren.
      Und dumm wie man hier ist, immer noch dar­an glau­bend, dass man hier in einer Demo­kra­tie lebt und dass alles mit fai­ren Mit­teln zugeht, hat man den Beginn die­ses Pro­zes­ses nicht bemerkt - so lang bis es zu spät war.
      Denn, selbst getrennt als PDS und WASG stan­den auf bei­den Sei­ten die sozia­len Pro­ble­me, die vor­her da und spä­ter aus der Agen­da 2010 erwach­sen sind, im Mit­tel­punkt. Gelöst/beseitigt wur­den sie nicht, also war­um der Anlass zur Kurs­kor­rek­tur weg hier­von? Das macht kei­nen Sinn. (Es sei denn, wenn es der Plan von ande­ren ist.)

  3. Die Men­schen, die da bestimm­te Grund­pfei­ler der Lin­ken in Fra­ge gestellt haben und ihren Ein­fluss aus­deh­nen konn­ten um das auch umzu­set­zen, müs­sen nicht unbe­dingt fremd­ge­steu­ert sein. Ich habe es öfter erlebt, dass durch ein­schnei­den­de Ver­än­de­run­gen im Leben plötz­li­cher Gesin­nungs­wan­del entstand.

    1. In der Poli­tik bin ich da sehr skep­tisch. Poli­tik - zumin­dest, wenn man ton­an­ge­bend sein will - kommt nicht ohne Stra­te­gie aus. Es wer­den bestän­dig Gift­pfei­le gewor­fen, von allen Sei­ten, von allen Frak­tio­nen. Das Wenig­ste lan­det davon in der Öffent­lich­keit (und wenn, dann steckt even­tu­ell auch Kal­kül dahinter).

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