"Frue*er"™ gab es Kinder, die ohne jede elterliche Aufsicht auf Trümmergrundstücken herum turnen konnten. In verwilderten Gärten mit verfallenen Gartenhäusern Versteck spielten. Deren Knie, Arme und alles sonst was aus der kurzen Hose herausschaute, Kratzer, Risse, Schrunden aufwiesen, ohne dass man sie sofort in die Notaufnahme schleppte. Wir mussten uns nicht Wochen vor unseren gemeinsamen Streifzügen durch die Umgebung verabreden, wir hatten keinen "Kinder-Terminkalender".
Unsere einzige feste Regel war: "Wenn es dunkel wird bist du zu Hause!"
Wir sind groß geworden. Wir haben ohne Aufsicht überlebt. Wir haben selbst ausprobiert, Phantasie walten lassen, uns etwas zugetraut und es gemeistert - und wenn nicht, unsere Grenzen erlebt und daraus gelernt. Waren das nächste Mal vorsichtiger. Unsere Nase wurde oft trotz obligatorisch mitgeführtem Taschentuch mit dem Ärmel abgewischt. Na ja, nicht immer, aber meistens.
Wir haben Erwachsene - egal wie wir verwandtschaftlich zu ihnen standen oder ob es Fremde waren - als Autoritäten gesehen. Was bestimmt nicht immer zutreffend war, ja meist sogar falsch. Und trotzdem ist weniger passiert, weil wir ein Gespür dafür entwickeln konnten welchen Fremden gegenüber man lieber vorsichtig ist. Es wurde uns nicht 'erklärt', wir haben es selbst gelernt.
Zur Schule wurde man nicht mit dem Auto 'gebracht', man lief. Zu Fuß. Wenn man alt genug war durfte man mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Ein Auto hatten die wenigsten Familien. Eingekauft wurde bei 'Tante Emma', im Viertel, nebenan, im Lädchen. Mit Einkaufsnetz aus Baumwollschnur für den Transport. Plastik und all die Probleme damit waren noch völlig unbekannt.
Milch wurde in einer großen Kanne selbst vom Bauernhof geholt - und wenn man ganz übermütig war probierte man als Kind die Kanne so herumzuschleudern, dass keine Milch herauslaufen konnte.
Wir haben gelernt höflich zu sein. "Danke" und "Bitte" zu sagen. Wer schon gebeugt lief, weiße Haare hatte oder einen Gehstock brauchte war - wie Oma und Opa - mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln. In öffentlichen Verkehrsmitteln, Bahn, Straßenbahn oder Bus standen wir Kinder auf und ließen die Alten sitzen. Wir machten ihnen auf dem Gehweg Platz und fragten, ob wir das schwere Einkaufsnetz für sie tragen sollten, sogar dann, wenn es uns selbst ganz schön schwer wurde. Die Alten hatten keine Angst, dass wir mit ihren Sachen weglaufen würden - und wir erwarteten nicht jedes Mal eine Belohnung fürs Helfen.
Gegessen wurde mindestens einmal am Tag zusammen - alle saßen zusammen am Tisch. Mit vollem Mund wurde nicht gesprochen. Nicht geschlürft oder im Essen herumgematscht. Man nahm nur so viel auf den Teller wie man essen konnte - und achtete darauf, dass Alle etwas abbekommen würden. Es wurde Sitzen geblieben bis es hieß "Kinder können jetzt aufstehen!".
Wir hatten ein paar Sandalen im Sommer und ein Paar geschlossene Schuhe im Winter - mit Schuhband, zum Schnüren, und wir waren stolz wie Oskar, wenn wir gelernt hatten, endlich verstanden hatten wie der Knoten und die Schleife gebunden werden. Zwei oder drei Hemden und Hosen, davon mindestens eine (kurze) Lederhose waren unsere komplette 'Garderobe'. Niemand nannte das *Minimalismus*, es war eine Notwendigkeit, weil es nur wenig gab. Vielleicht noch ein Turnhemd, eine Turnhose und Turnschläppchen im Turnbeutel, wenn man bereits zur Schule ging, das war schon 'Luxus'.
Wenn man sich zu Hause über (den) Lehrer beschwerte wurde nicht gleich ein Elternabend verlangt. Man wurde gefragt was man denn getan hätte, um den Lehrer zu verärgern. Eltern redeten noch mit den Lehrern, nicht abschätzig über sie.
Unsere Mutter war zu Hause. Oder arbeitete. Niemand machte aus dem einen oder anderen eine Weltanschauung. Kinder, die einen Schlüssel zur Wohnung an einer Schnur um den Hals trugen waren "Schlüsselkinder", was bedeutete, dass beide Eltern arbeiteten weil es sonst knapp geworden wäre. Das unser Vater tagsüber zur Arbeit weg war störte nicht. Er nahm sich abends und am Wochenende Zeit mit uns etwas zu unternehmen, zu spielen, zu toben. Er brauchte dafür keine Anleitung "Quality time with your kid!" oder so ....
"Frue*er"™ waren die Menschen noch solidarisch, man half dem Nachbarn anstatt ihn geflissentlich im Hausflur zu meiden. Bis zu dem Tag an dem das Fernsehen eingeführt wurde redete man noch miteinander wenn man Nachbarn und Familie traf. Medienkonsum bestand aus *Radio hören*, man konnte da so nebenbei noch Dinge mit den Händen erledigen und es hieß noch nicht "multi-tasking". Es gab keine Ausflüchte wie "Da gibt es doch *ABC*, das will ich sehen, da kann ich nicht!"
"Frue*er"™ war bestimmt nicht "Alles" besser.
Aber schlechter war es auch nicht, nur "anders".
Einfacher.
Für Viele, die heute *überfordert*, vom *burnout* überwältigt sind, wäre es damals besser gewesen ....
Redigierte Fassung; aus gegebenem Anlass!