[Pressemitteilung & Abbildungen hier übernommen und zitiert mit freundlicher Genehmigung des Arbeitskreises]
Am 21.4.2023 fand die 6. öffentliche Veranstaltung vom Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg an einem Freitagabend, bei herrlichstem Wetter, im PFL in Oldenburg
statt.
Olaf Sander war mit Familie - Frau und Vierbeiner - aus Dänemark angereist, um die vom
SWR im Jahr 2016 erstellte Reportage „Frau S. will sterben - Wer hilft am Lebensende“
(welche die Zeit unmittelbar vor und bis zum Freitod seiner Mutter zeigt) vorzuführen, um
anschließend über die Erlebnisse dieser Zeit zu berichten und Fragen aus dem Publikum zu
beantworten.
Den Zuschauern bot sich der berührende Kampfgeist von Ingrid Sander bis zu ihrem
selbstbestimmten Suizid und der Begleitung ihres Sohnes Olaf.
Durch eine Infektion mit Poliomyelitis und dem nachfolgenden Post-Polio-Syndrom
(Kinderlähmung) war die inzwischen 78jährige Ingrid Sander derart körperlich eingeschränkt,
dass ohne Hilfe anziehen, waschen und sich Essen zubereiten kaum mehr möglich war.
Ingrid Sanders jahrzehntelanges Kämpfen um ihr Recht selbstbestimmt und nach ihrer
Würde aus dem Leben zu scheiden, die Beschaffung der nötigen und sicher wirksamen
Medikamente und die genaue Planung gingen ihrem Freitod voraus. Der als Sterbehelfer
bekannte Arzt Dr. Uwe Christian Arnold half bei der Vorbereitung. Diesen Arzt an der Seite
seiner Mutter zu haben war, wie Olaf Sander in dem Film sagte: „Die beste
lebensverlängernde Maßnahme für seine Mutter". Ohne die Zusage dieses beeindruckenden
Mannes ihr zu helfen, wenn sie ihr Leben nicht mehr erträgt, wäre sie schon viel früher aus
dem Leben gegangen. Eine anstrengende Reise in die Schweiz, um dort zu sterben, kam für
sie nicht Frage. Erstens weil sie in ihrem Umfeld und nach ihren Bedingungen sterben wollte
und zweitens, weil ihr ohnehin die finanziellen Mittel für dieses teure Unterfangen fehlten.
Die Verzweiflung Olaf Sanders, die geliebte Mutter bei ihrer Erlösung zu begleiten, wurde im
Film und im nachträglichen Gespräch bei dieser hervorragenden Veranstaltung in Oldenburg
sehr deutlich. Bis heute empfindet es Olaf Sander aber auch als große Ehre, seiner Mutter
bei dieser letzten großen Entscheidung und der endgültigen und selbstbestimmten Handlung
beigestanden zu haben.
Zu dieser Zeit galt der von Ärzteorganisationen, Kirchen und Politik durchgedrückte § 217
StGB zur Sterbehilfe. Unsinnigerweise war es nur Angehörigen erlaubt, diesen Liebesdienst
zu erweisen.
Olaf Sander konnte auf die regen Fragen und Kommentare der gut fünfzig Personen, die der
Einladung des Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg gefolgt sind, sehr
authentisch reagieren. Er erklärte sehr eindrücklich und berührend auch die Situation bei
den Ermittlungen, die nach dem Freitod seiner Mutter folgten (und uns wieder droht). Noch
heute ist er froh, sich im Vorfeld einen Anwalt gesucht zu haben. Dieser hat ihn in dieser
schweren Zeit juristisch vertreten und mit Rat und Tat zu Seite gestanden.
Bevor die Mutter starb, entfernte Olaf Sander sich von seiner Mutter, um der Anklage der
damals strafbaren unterlassenen Hilfeleistung zu entgehen und wie es deshalb mit ihr und
Dr. Arnold abgesprochen war. Das bedauert er bis heute sehr, weil die Ermittlungsbehörden
kaum hätten nachweisen können, wenn er bis zum Schluss bei ihr geblieben wäre. Zum
Beweis seiner Abwesenheit ließ er sich von den Überwachungskameras eines Spielsalons
filmen, gleichwohl er Spielsalons verachtet, dort aber ein sicheres Alibi bekommen konnte.
Wie es ihm dort in dieser Situation zumute war, kann wohl jeder erahnen.
Notarztwagen, polizeilichen Ermittlungen, Anklagen und Mitnahme aufs Revier folgten wie
erwartet. Der hervorragende Einsatz des zuvor informierten Anwalts, Verhinderte eine
Untersuchungshaft, da Olaf Sander keine ladungsfähige Adresse in Deutschland hatte. Ohne
diesen Anwalt wäre Olaf Sander sehr wahrscheinlich inhaftiert worden. Die endgültige
Einstellung des Verfahrens erfolgte dann auch erst mehr als zwei Jahre später.
Im Film kamen auch die verantwortlichen Politiker Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese
(SPD) zu Wort, die den Entwurf dieses Gesetzes damals in den Bundestag einbrachten, was
dann 2015 - zum Entsetzen vieler Bundesbürger - verabschiedet wurde.
Der § 217 StGB war gleichzusetzen mit einer Entmündigung von uns Bürgern. Und nun droht
womöglich eine Neuauflage!
Im Februar 2020 wurde dann vom Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass dieser
Paragraph nicht mit der in unserem Grundgesetz verankerten Selbstbestimmung zu
vereinbaren war. Die Bundesrichter erklärten das Gesetz am 26.2.2020 deshalb als
verfassungswidrig und somit nichtig.
Aktuell liegen dem Bundestag drei neue Gesetzentwürfe vor. Mit einer Entscheidung ist noch
in diesem Jahr zu rechnen. Wieder drohen große Einschränkungen! Insbesondere der
Entwurf um Lars Castellucci (SPD) ignoriert die Entscheidung unseres
Bundesverfassungsgerichts in höchstem Maße.
Der Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg wird weiter informieren, kämpfen und
demonstrieren und braucht dafür auch die zahlreiche Unterstützung aus der Bevölkerung.
Der Arbeitskreis fordert alle Gleichgesinnten auf vor Ort eigene Gruppen zu bilden, auf die
Straße zu gehen und laut zu werden und dem Gesetzgeber somit zu zeigen, was der Wille
des überwiegenden Teils der Bevölkerung ist.
Jeder hat seine eigenste Art aus dem Leben gehen zu wollen und diese Freiheit wollen wir
mit unseren Aktionen erhalten. Macht bitte mit!
Autorinnen: Heike Engels & Angelika Salzburg-Reige