Im Jahre 1997 flogen wir - die ganze Familie, Eltern und Kinder, nach Denver, Colorado um dort bei und zusammen mit Freunden Weihnachten und Silvester zu feiern. 1998 war ich für zwei Monate geschäftlich in Pensylvania, New York (Staat) und Ohio unterwegs um für einen meiner Kunden Geschäfte mit U.S.-Unternehmen anzubahnen. Da das erfolgreich war reiste ich schließlich im Juli des gleichen Jahres wieder ein - diesmal um für den Kunden ein Büro ein zurichten und den Warenfluss zu organisieren.
Für Büroeinrichtung und Wohnungseinrichtung wurden Investitionen von ca. 6.000,- DM getätigt, die Wohnung mit Büro kostete damals etwas mehr als 400,- US$ Miete, Kabel, Telefon und Nebenkosten nicht enthalten. Heute bekommt man für diesen Preis nicht einmal mehr einen fensterlosen Abstellraum. In den ersten beiden Monaten lieh mir ein Freund aus High School-Tagen ein Auto - zur Nutzung bis alle Formalitäten erledigt waren, um selbst ein Auto zu kaufen und zulassen zu können. Dazu nur soviel:
Wer glaubt in U.S.A. sei alles ganz locker und ohne Komplikationen zu erledigen weil die Amerikaner ja so gut drauf sind der irrt gewaltig - die Bürokratie kann sich durchaus mit unserer messen. Was noch dazu kommt: In Europa "Erworbenes" wie Führerschein, akademische Grade, Versicherungsrabatte etc. zählt erst mal - -- --- NICHTS!
Als das erste Flugzeug in den Turm des World Trade Center flog war ich gerade in einer technischen Unterweisung über die Bestückung von Mobiltelefonplatinen der zweiten Generation [die mit den kleinen Farbdisplays] und half als Übersetzer aus, weil dort einige Techniker und Ingenieure teilnahmen, die noch nicht so fit in der englischen Sprache waren um den Ausführungen des Referenten zu folgen. Dieser Unterricht wurde abgebrochen und man versammelte sich im Pausenraum [eine eher seltene Errungenschaft in U.S.-Unternehmen, meist wird erwartet, dass die Mitarbeiter irgendwo in einem Schnellrestaurant ihre Mittagszeit verbringen]. Dort lief der Fernseher und niemand arbeitete mehr sondern sah die Berichterstattung.
Nach wenigen Tagen stand fest: Das Land war zutiefst erschüttert, in seiner Identität angeschlagen und jene Kräfte, die nach Rache lechzten, hatten das Heft in der Hand und sich durchgesetzt. Was folgte war der endgültige Verlust dessen, was wir in Europa unter der Überschrift "Der amerikanische Traum" kennen.
Für mich stand fest, dass ich in einem solchen Land nicht leben und arbeiten wollte. Ohne auf Einzelheiten einzugehen nur soviel zum Abschluss der Geschichte: Ich verkaufte die Einrichtung und zwei Autos, packte meine persönliche Habe in eine große Kiste und verließ mit Auslaufen meines Visums Anfang September 2002 das Land.
Zur Vorgeschichte - und zum besseren Verständnis - will ich noch erwähnen, dass ich in den Jahren 1963-64 ein Jahr als Austauschschüler im Staat New York, ganz im Norden, an der Grenze zu Kanada, zugebracht habe. Danach bin ich in mehr oder weniger großen Abständen immer wieder einmal dort gewesen. Dadurch kenne ich die Stimmung und die Menschen im Land zwar nicht aus allen Regionen, aber doch sicher besser als manche Urlauber, die einmal für ein paar Tage zum Shopping in einer der Metropolen waren .... dort herrscht oft diese 'aufgesetzte' Freundlichkeit vor, die nicht echt erscheint und es auch nicht ist!
Um es kurz zu sagen liebe ich das Land. Und jene einfachen Menschen, die die Masse der Bevölkerung ausmachen, die grundsätzlich freundlich zu Fremden sind, wenn diese sich rücksichtsvoll und angemessen verhalten. Es herrscht eine Hilfsbereitschaft die uns in Deutschland mindestens in Metropolregionen abhanden gekommen ist. Die Landschaften sind atemberaubend, und ich hatte das Glück mehr als 14 Staaten der U.S.A. intensiv zu bereisen und mich dort viele Wochen umzusehen - teils mit Freunden oder deren Bekannten, teils zusammen mit meiner Frau als "Touristen", aber immer auf eigene Faust, ohne die bei deutschen USA-Touristen so beliebte "deutschsprachige Führung", bei der nur der positive Ausschnitt des Lebens gezeigt wird, soziale und kulturelle Problemfelder ausgeblendet werden. "Alltag" mit seinen Schwierigkeiten wird bei solchen Pauschalreiseveranstaltern nicht wahrgenommen. Davon merkt kein Tourist etwas.
Zuletzt waren wir 2004 in den U.S.A. - und was wir da von den "Offiziellen" erlebt haben hat ausgereicht um zu sagen: Nie wieder, nicht ohne drastische Änderungen der Handhabung der Einreise durch die Behördenmitarbeiter.
Es ist eine Schande, was in den vergangenen 15 Jahren aus diesem Land durch die Geldgier und ungezügelte Bereicherung Weniger geworden ist. Dazu kommen die Einschüchterungen einer schlecht ausgebildeten und schießwütigen Polizei, schleichend wiederkehrender Rassismus, der unter Trump nun ganz offensichtlich wird und kaum noch Widerstand erzeugt.
Waren es in den sechziger und siebziger Jahren noch die kleinen Kommunen die die Masse der Bevölkerung beherbergten, so sind es nun die größeren Städte, die den Ton angeben und der Menschlichkeit abgeschworen haben - wer nicht kämpft oder kämpfen kann ist rettungslos verloren, wer krank wird ist finanziell meist ruiniert, wer dem ständigen Druck noch mehr zu arbeiten und noch weniger Freizeit zu haben nicht standhalten kann greift immer häufiger zu Drogen und macht sich so kaputt.
Wohltätigkeit gegenüber Bedürftigen (siehe Abbildung)- einst ein Kennzeichen der amerikanischen Gesellschaft - wird heute als Förderung von Schmarotzertum gebrandmarkt, Hilfsbereitschaft, Mitleid und Menschlichkeit werden als linksradikales Gedankengut verteufelt.
Die US-Gesellschaft ist in ihren Grundfesten erschüttert, nicht erst seit Trump. Wenn sich durch die Übernahme des Repräsentantenhauses (Wahl vom Novemver 2018) durch die Demokraten nichts ändert, weil in deren Reihen sich mindestens so viele von "special interest (groups)"¹,² bestochene Abgeordnete befinden wie bei den Republikanern, dann sehe ich schwarz für das Land. Die einzige Hoffnung sind jene jungen, sozial und demokratisch engagierten Abgeordneten, die bei der letzten Wahl die verkrusteten Strukturen in Frage stellen konnten und bei den Wählern damit ankamen.
Da ruht meine Hoffnung .... und wer weiß, möglicherweise erlebe ich es noch und kann wieder dorthin fliegen ohne bei der Einreise wie ein Verbrecher gescannt und befragt zu werden.
¹ Ein besonderes politisches Thema, das im Mittelpunkt der politischen Interessenvertretung steht.
² Eine Interessengruppe.