oder: Vom Kuchen 'alter Art'
Es ist Zwetschgenkuchenzeit im Land - das merkt man unter anderem daran, dass der Preis dafür in ungeahnte Höhen steigt. Heute durfte ich für ein Stück davon 2,75 € bezahlen, mithin 11,- € für vier Stücke. Dafür hätte ich (fast schon) drei runde "Böhmische Zwetschgenkuchen" mit 26 cm Durchmesser von Koppenrath & Wiese (jetzt Dr. Oetker) aus der Tiefkühltruhe kaufen können.
Wenn nun die Qualität des "Bäckerhandwerks mit Tradition" angemessen gewesen wäre, die Größe des Kuchenstücks zudem nicht nur 'für den hohlen Zahn', also Mini, was bedeutet: man muss zwei Stücke kaufen wo früher eines genügte, der Belag mindestens so, dass der Teig darunter nicht zu sehen gewesen wäre, meine Mutter pflegte das als "Quetsch-wart-a-bissel" zu bezeichnen .... dann wäre ich zufrieden gewesen und dieser Beitrag wäre nicht erschienen.
In den letzten Tagen habe ich - natürlich nur zum Zwecke der Bewertung aktueller 'Backkunst' - von mehreren Bäckern Zwetschgenkuchen gekauft. Also das, was unter dieser Bezeichnung angeboten wurde. Nicht etwa, was ich darunter verstehe.
Die Liste von Zutaten, die nicht als Zutaten für Zwetschgenkuchen zulässig sind, ist umfangreich. Ich nenne ein paar:
- - Glibberige Glasur, von der Konsistenz her 'Wackelpudding'-ähnlich, die Früchte vortäuschen soll, wo zu wenig Früchte verwendet werden - wie soll sonst der Bäcker reich werden?
- - Zimt; Nelken; Hagelzucker; Puderzucker; Streusel.
- - Mürbteig; Rührteig; Bisquitschicht zwischen Hefeteig und Belag;
- - Pudding (!), der Gipfel der Scheußlichkeit.
Als ich noch ein kleiner Bub war und noch nicht zur Schule ging wurden Blechkuchen mangels geeigneter Backöfen in Privathaushalten - man schrieb das Jahr 1950 - beim Bäcker um die Ecke abgegeben. Der sie dann in seinen großen Ofen schob und backte. Mit dem Kuchen zusammen, den er selbst bereitet hatte - für all jene armen Menschen, die keinen Hefeteig zubereiten konnten, keinen Zugang zu einem Zwetschgenbaum bei der Verwandtschaft hatten, oder sich nicht einmal ein großes Backblech leisten konnten.
Die kauften sich ein Stück vom Bäckerkuchen: Hefeteig und Zwetschgen als Belag.
Hefeteig, Zwetschgen, und wenn sie noch sauer waren ein wenig aufgestreuter Zucker, bestimmt aber keine Pflaumen, das waren die zwei Zutaten für Zwetschgenkuchen.
Sollten sie heute auch noch sein.
Was daraus tatsächlich geworden ist?
Ein weiteres *life-style* Produkt, geschaffen von Leuten, die in ihrem Leben noch nie wirklich guten Zwetschgenkuchen 'alter Art' gegessen haben oder je essen werden.
Warum "Zwetschgen" und nicht "Pflaumen"? Weil Zwetschgen weniger Flüssigkeit enthalten und daher beim backen weniger Saft herausläuft - was den Kuchen fester werden lässt, die Form der Früchte erhält und den Esser nicht in die Gefahr bringt, sich mit herunterträufelndem Saft zu bekleckern ....