.... sei vorbei - so läßt uns der Zukunftsforscher Matthias Horx apodiktisch wissen. Wer wenn nicht ein Zukunftsforscher sollte uns eine solche Botschaft übermitteln?
Das war gestern die Einleitung zu Teil I der Betrachtungen zu diesem Thema. Am Ende stellte sich folgende Frage:
Sind die Blütezeiten des Netzes vorbei - und wenn "Ja" sind es jene Gründe, die der Zukunftsforscher Horx dafür verantwortlich zu machen sucht? Skepsis scheint angebracht, seit Jahren schon (und sehr deutlich formuliert) gibt es Autoren die an den Horx'schen (Vor-) Aussagen zweifeln.
Zur Frage "Blütezeit des Netzes" - bereits in sich ein Widersinn, denn was ist eigentlich "das Netz"? Die Summe aller online-Aktivitäten? Die Summe aller (sogenannten) social media Aktivitäten? Jede Art von Datenbewegung zwischen zwei Punkten?
"Trendforscher Matthias Horx, Keynote-Speaker auf dem "European Newspaper Congress", geht mit der Hasskultur bei Facebook & Co. hart ins Gericht. "Die Gebildeten und Jüngeren ziehen sich inzwischen teilweise wieder aus dem Netz zurück, weil sie es nicht mehr aushalten, ständig angehasst und angepöbelt zu werden", so Horx."
In diesem Zitat aus dem Bezugsartikel tauchen zwei wichtige Fakten auf. Zunächst ist dort von " .. Hasskultur bei Facebook & Co. .." die Rede. Dann heißt es " .. Die Gebildeten und Jüngeren ziehen sich inzwischen teilweise wieder aus dem Netz zurück .. ".
Es darf bezweifelt werden, dass diese Aussage überhaupt einen Wahrheitsgehalt hat. Auf "facebook" tummeln sich weder nur "die Jüngeren", noch "die Gebildeten", noch ziehen sie sich aus facebook zurück.
- und können sich schon deswegen nicht "zurückziehen".
Laut verschiedener Untersuchungen ist die Altersstruktur bei facebook in allen Altersgruppen ähnlich. Sie spiegelt die Gesamtaltersstruktur der an Computer- & Mobiltelefonnutzung teilhabenden Bevölkerung wider. Es ist eine Binsenweisheit die Herr Horx übersieht:
Mehr Personen als in einer Altersgruppe tatsächlich vorhanden sind können das entsprechende Medium nicht nutzen.
Die sehr Jungen weichen zunehmend² auf Dienste wie WhatsApp und Instagram aus, was den Rückgang bei facebook zum Teil erklärt. Bei älteren Nutzern - insbesondere jenen die bereits zuvor Erfahrungen z.B. mit Weblogs gemacht haben und die umfangreicheren Möglichkeiten dort schätzen - gibt es einen Trend sich in den sozialen Netzwerken zu präsentieren, dies aber, um auf ihre Angebote in den Weblogs aufmerksam zu machen [Beispiel: "Pflasterritzenflora" | H. U. Gresch]. Es ist dementsprechend kein Rückzug, sondern eine bewußt gewählte Strategie der Eigenwerbung.
" .. Dass sich Jugendliche immer weniger für Facebook interessieren, trifft hingegen nur teilweise zu. Die Reichweite in den jüngeren Altersgruppen ist immer noch riesig und wächst – nur eben langsamer als in den anderen Alterssegmenten⁵. Doch auch der Trend hin zum Messenger-Dienst ist deutlich erkennbar, hier liegt WhatsApp mit 35 Millionen Nutzern in Deutschland ganz weit vorne und auch Snapchat ist weiter im Kommen .. " - es verwundert dabei kaum, dass im jüngeren Segment weniger Zuwachs³ festgestellt wird: Ist doch die Zahl der Nutzer dort schon (im Vergleich zu anderen Altersgruppen) überproportional.
Betrachtet man die Daten¹ zur Bildung, zu Vorlieben was Medien angeht und zur Selbstauskunft zum Bildungsgrad, so steht fest: Bestenfalls mittlerer Bildungsgrad stellt die Mehrheit der facebook-Nutzer dar [Hierbei wird der High School Aabschluß einem mittleren Bildungsgrad, der Collegabschluß dem Abitur gleichgestellt; Vollakademiker sind unter "Grad." eingegliedert.]. Das wird noch deutlicher, wenn man die Top-Branchen⁴ ansieht, aus denen diese Nutzer kommen. Mehr als die Hälfte der Personen arbeitet in Berufsfeldern die eine Lehre oder Facharbeiterprüfung als Qualifikation voraussetzen.
Das Niveau der facebook-Nutzer kann sehr leicht - exemplarisch, stichprobenartig - überprüft werden wenn man einen Blick darauf wirft⁵ und sich den zugehörigen Bildungsgrad vorstellt. Ich gehe hier von einer "begründeten Annahme" aus, wissenschaftlich nicht exakt, aber immerhin besser als in die Luft geschaut und etwas 'erfunden'. Wie es vermutlich der Herr Zukunftsforscher macht.
Abschließend und zusammenfassend stelle ich fest:
Es gibt keinen überproportionalen Schwund an Teilnehmern, wohl aber eine Verschiebung zwischen den verschiedenen Angeboten. Es gibt in den jüngeren Altergruppen eine gewisse Sättigung, sodaß die Zahl derer sinkt die das Angebot wollen, kompensiert nur teilweise durch die neu hinzukommenden Benutzer.
Es gibt auch keine größere Zahl von Gebildeten⁰ die abwandern könnten, weil die zu keiner Zeit besonders aktive facebook-Benutzer gewesen sind. Sie stellen eine Minderheit derer, die sich dort tummeln⁵. Die gebildeteren Internetaktiven sind ihren Wurzeln treu geblieben, mit gelegentlichen Ausflügen zu "twitter" (das heute Zehn-Jahres-Jubiläum feiert).
Rückblickend betrachtet sehe ich - selbst Webseitenbetreiber seit 2001 & aktiver Blogger seit 2003 - die Situation der (Freizeit-) online Aktivitäten folgendermaßen:
- Um die Jahrtausendwende gab es nur wenige Nutzungsarten des rudimentär vorhandenen Internets für das breite Publikum.
Eigens gestaltete, persönlich Webseiten auf eigener Domain - mit damals noch erheblichen Kosten, da das 'hosting' in Deutschland (im Gegensatz zu den U.S.A.) außerordentlich teuer war. - Mit der Schaffung von Blogsoftware, die ohne vertiefte Kenntnisse der Programmierung zu bedienen war, die zugleich in der einfachen Version völlig kostenfrei angeboten wurde, erweiterte sich der Personenkreis, der einen Austausch von Gedanken und Informationen vornehmen konnte.
- Die dann immer noch vorhandene Hürde der Preise für Hardware sank in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts immer mehr - sie wurde für jedermann erschwinglich und schließlich durch die Entwicklung der "smart"phones allgemein verfügbar.
Was im Rückblick immer vergessen wird ist die mangelhafte Struktur der Datenanbindung - ein Umstand, der bis heute anhält! - In den Anfangsjahren des Bloggens etablierten sich zunächst kleinere Vernetzungen zwischen den dann Bloggenden, was eine Einstiegsbarriere für später Hinzukommende darstellte. Teilweise wurde von den neuen Möglichkeiten so umfangreich Gebrauch gemacht, dass die Plattformen geschlossen wurden [z.B. "antville"], weil der Anstieg nicht mehr zu bewältigen war. Eine sehr umfassende & ins Detail gehende Untersuchung von Jan Schmidt beleuchtet die Hintergründe und wissenschaftlichen Befunde am Beispiel von "twoday" aus der Zeit 2004/2005. Sehr empfehlenswert.
- Während der Wachstumsphase zu Beginn (bis ca. 2008) waren sowohl die Qualität als auch die Beteiligung durch Kommentare angewachsen. Was sich von da an verlangsamte, da die Bedienbarkeit der zugrunde liegenden Software immer leichter wurde und sich dadurch die Nutzerstruktur auf solche Personen ausweitete, die einen deutlich niedrigeren Anspruch hatten und dadurch das Niveau der Diskussion und die Beitragsqualität pauschal senkten. Viele Blogs verkamen rasant zu Teenager-Tagebuch Stories. Einhergehend mit einer Verrohung der Sitten.
- Dies hatte wiederum einen weiteren Verfall der Qualität zur Folge, da sich nun die "early adopters" aus den Plattformen zurückzogen und zu individuellen Lösungen für ihre weitere Blogaktivität übergingen. Mangels "Feinden" verschwanden auch die notorischen Störer, die, zusammengerottet als Mob, kaum Substanz aber viel Unruhe beigesteuert hatten. Die vorher geknüpften Netzwerke wurden kleiner, weil nicht alle Teilnehmenden diesen Schritt zur losgelösten Individualität mitmachen wollten. Der - in den meisten Fällen - den technischen Aufwand erhöhte ohne den inhaltlichen Teil zu verbessern. Der Gewinn lag im wesentlichen im Design und sogenannten "features", was bei den Plattformen nur zögerlich vorankam.
- Die Folge war ein Schrumpfen des Plattformangebotes. Fusionen und Aufkäufe taten ihr Übriges die Zahl der Möglichkeiten zu verkleinern. Einige der frühen Anbieter (20six) sind völlig verschwunden, andere dümpeln mit einer puristischen Note und wenigen Überzeugten ohne nennenswertes Wachstum dahin (Serendipity).
- In die entstandene "Lücke" fielen die Angebote von Studi-Plattformen, facebook und twitter. Letzteres mit facebook kaum zu vergleichen, denn trotz der Beschränkung der Zeichen sinnvolle "tweets" zu verfassen erfordert eine Grundintelligenz. twitter ist daher nicht massentauglich - wenngleich es immer wieder erstaunt welche Abweichungen hiervon vorhanden sind.
- Einfach ausgedrückt:
Ein gut geführtes & gepflegtes Weblog ist die beste Ausdrucksmöglichkeit für Menschen, die ein Thema gründlich bearbeiten wollen & können.
"twitter" bietet sich für die Eiligen, besser Gebildeten an, die mit wenigen Worten witzig, spritzig zum Kern kommen können.
"facebook" macht es selbst weniger ausdrucksstarken Menschen möglich sich im Internet zu äußern. Ob letzteres⁶ der Menschheit einen Dienst erweist bezweifle ich allerdings.
Im nächsten & letzten Teil, Teil III, setze ich mich mit den Folgen auseinander, die der Autor Horx aus den von ihm vertretenen Thesen zu erkennen glaubt. Und natürlich mit der von ihm propagierten " .. Hasskultur bei Facebook & Co .."
Datenquellen:
⁰ Sammlung von Abbildungen [facebook-Nutzer] ▶ LINK
¹ https://buggisch.wordpress.com/
² http://www.social-media-aachen.de/blog/
³ http://de.statista.com/
⁴ http://www.thomashutter.com/
⁵ http://allfacebook.de/
⁶ Sammlung von Zitaten [aus facebook]; [via "Lockere Schraube"] ▶ LINK