soll man halten - das wird Kindern eingeschärft. Sie lernen am Beispiel, wie ernst es den Erwachsenen mit "Versprechen halten" wirklich ist ....
Als ich so ca. sieben Jahre alt war wohnte meine Familie in einer Mittelstadt, die trotz unbedeutender militärischer Garnison in den letzten Kriegsmonaten - wohl wegen der Nähe zu einer Großstadt - schwer zerbombt wurde. In unserer Straße waren mehr zerstörte als intakte Häuser. Wir Kinder hatten in Ruinen, verwilderten Gärten und auf den damals noch wenig befahrenen Straßen viel Platz zum Spielen.
Gegenüber von unserem Haus war ein Gaststätten- und Hotelbetrieb, der kein Dach hatte, ab zweiter Etage war alles zerstört, man hatte provisorisch abgedichtet, sodaß der Betrieb möglich war. Nebenan war ein Haus mit roter Sandsteinfassade, alle vier Etagen völlig intakt, unten war ein Lederwarengeschäft. "Lederwaren Kassner" - sogar das Schild oberhalb des Schaufensters hatte alle Kriegswirren überstanden.
Das Geschäft wurde von besagter Frau Kassner betrieben. Ihr Mann war im Krieg gefallen, so mußte sie sich alleine über Wasser halten. Schwer in der damaligen Zeit, denn wer dachte schon an Lederwaren, wenn man sich täglich Sorgen um die Beschaffung der Zutaten fürs Essen machen mußte.
Frau Kassner saß oft auf einem mit grünen Plüsch bezogenen Sessel vor ihrem Laden, beobachtete das Leben und Treiben in der Straße. Manchmal rief sie uns Kinder her und schenkte uns Bonbons, diese dicken, roten, harten Bonbons, die wie Himbeeren aussehen - und auch so schmecken ....
Wohl weil ich eines der größeren Kinder war, bat sie mich manchmal, ihr etwas vom Bäcker an der Ecke zu holen: "Gell Bub, isch kann jonet weg, wenn dann grod aanner käm könnt isch em nix verkaafe!" Meist gab es zur Belohnung für Einkäufe zwei oder gar drei Himbeerbonbons ....
Dann kam ein Tag, an dem sie mich fragte, ob ich ihr den Müll wegbringen würde. Dazu muß man wissen: Mülltonnen gab es nur an bestimmten Stellen, am Ende der Straße, da noch nicht jedes Haus sich eine eigene Tonne hatte beschaffen können. Ich brachte von da an fast täglich ihren Müll zur Tonne. Manchmal war der Eimer schwer, wenn Kohle- oder Brikettreste darin waren. Öfter auch leicht, denn reine Asche aus der Ofenheizung wog fast nichts, sie staubte nur fürchterlich beim Auskippen in den Mülleimer.
Was mich beflissen machte, war das Versprechen: "Bub, wenn de mer den Dreck fortbringst krieste aach wos Scheenes wenn de Monad rum is!" Ich war gespannt, was das wohl sein würde ....
Am Ende des Monats:
Nichts! Ich wagte nicht zu fragen. ich wartete. Und wartete. Wartete vergebens auf das versprochene Geschenk.
Schließlich - ich hatte die Sache meinem Vater erzählt - ging ich von ihm ermutigt hin und fragte, ob ich denn jetzt mein Geschenk haben könnte. Frau Kassner stellte sich - oder war - unwissend: "For wos soll isch der wos schenke, Bub?" Ich erklärte. "Ach so, na do wermer wos finne!" war ihre Antwort. Ich wartete wieder fast einen Monat, dann rief sie mich heran und nahm mich mit in den Laden.
Dort stand auf dem Verkaufstisch ein Glas, ähnlich einer Karaffe, mit Glasdeckel und rundlichen blauen Kugeln darin. "Des is fer disch, Bub!" sagte sie, als sie mir das Glas in die Hand drückte. Ich bedankte mich und lief mit meinem Geschenk nach Hause. Unterwegs schon wurde ich ungeduldig, blieb stehen, öffnete den Deckel - ein penetranter Geruch schlug mir entgegen! Sicher, daß der Inhalt sicher besser schmecken würde als er roch, nahm ich eine von den Kugeln heraus und steckte sie in den Mund - um sie sogleich wieder auszuspucken.
Pfui Deibel, das Zeug war ungenießbar!
Meine Mutter erklärte mir was es war:
Mottenkugeln mit Lavendelgeruch. Wer in aller Welt kommt auf die Idee, einem Kind ein Glas Mottenkugeln mit Lavendelgeruch zu schenken und zu denken, das sei eine gute Sache?
Jahrelang hatte ich eine Abneigung gegen alle Dinge, die nach Lavendel rochen. Erst als ich nach vielen Jahren einige Lavendelpflanzen für den Garten geschenkt bekam und sie zum Sommer hin zu blühen und zu riechen anfingen merkte ich: Vorbei die Abneigung, es riecht zwar stark, aber doch angenehm ....