Lieblingsgedicht



ZITAT
Theo­dor Storm: Gedichte
(Ent­ste­hungs­jahr: 1854)
 

Für mei­ne Söhne

Heh­le nim­mer mit der Wahrheit!
Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
Doch, weil Wahr­heit eine Perle,
Wirf sie auch nicht vor die Säue.

Blü­te edel­sten Gemütes
Ist die Rück­sicht; doch zuzeiten
Sind erfri­schend wie Gewitter
Gold­ne Rücksichtslosigkeiten.

Wack­rer hei­mat­li­cher Grobheit
Set­ze dei­ne Stirn entgegen;
Arti­gen Leutseligkeiten
Gehe schwei­gend aus den Wegen.

Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen wür­dest zu begehren,
Hal­te dich zu wert, um gastlich
In dem Hau­se zu verkehren.

Was du immer kannst, zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;
Aber hüte dei­ne Seele
Vor dem Karrieremachen.

Wenn der Pöbel aller Sorte
Tan­zet um die gold­nen Kälber,
Hal­te fest: du hast vom Leben
Doch am Ende nur dich selber.
 
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