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Essay "Die Erfindung der Islamophobie"

Essay

Die Erfindung der Islamophobie

Von Pas­cal Bruckner

13.12.2010.

Kri­tik an Reli­gi­on ist nicht Ras­sis­mus. Der Begriff will ein­schüch­tern. Vor allem aber will er all jene Mus­li­me zum Schwei­gen brin­gen, die den Koran in Fra­ge stel­len und die Gleich­heit der Geschlech­ter fordern.
Ende der sieb­zi­ger Jah­re haben ira­ni­sche Fun­da­men­ta­li­sten den Begriff der Isla­mo­pho­bie erfun­den, den sie sich von der "Xeno­pho­bie" abge­paust haben. Sein Ziel ist, den Islam zu etwas Unan­tast­ba­rem zu erklä­ren. Wer die­se neu gesetz­te Gren­ze über­schrei­tet, gilt als Ras­sist. Die­ser einer tota­li­tä­ren Pro­pa­gan­da wür­di­ge Begriff lässt absicht­lich offen, ob er auf eine Reli­gi­on zielt, ein Glau­bens­sy­stem, oder auf die Gläu­bi­gen aller Her­ren Län­der, die ihr angehören. 

Aber ein Bekennt­nis lässt sich so wenig mit einer Ras­se gleich­set­zen wie eine säku­la­re Ideo­lo­gie. Zum Islam beken­nen sich wie zum Chri­sten­tum Men­schen aus Ara­bi­en, Afri­ka, Asi­en oder Euro­pa, so wie Men­schen aller Län­der Mar­xi­sten, Libe­ra­le, Anar­chi­sten waren oder sind. Bis zum Beweis des Gegen­teils hat jeder­mann in einer Demo­kra­tie das Recht, Reli­gio­nen als rück­stän­di­ges Lügen­werk zu betrach­ten und sie nicht zu lie­ben. Man mag es legi­tim oder absurd fin­den, dass man­che dem Islam - so wie einst dem Katho­li­zis­mus - miss­trau­en und sei­nen aggres­si­ven Pro­se­ly­tis­mus und tota­len Wahr­heits­an­spruch ableh­nen - aber es ist kein Aus­druck von Rassismus. 

Spricht man von "Libe­ra­lo­pho­bie" oder "Sozia­li­sto­pho­bie", wenn jemand gegen die Ver­tei­lung von Reich­tü­mern oder die Herr­schaft des Mark­tes ein­tritt? Oder soll­ten wir den 1791 von der Revo­lu­ti­on abge­schaff­ten Straf­tat­be­stand der Blas­phe­mie wie­der ein­füh­ren, wie es Jahr für Jahr von der "Orga­ni­sa­ti­on der Isla­mi­schen Kon­fe­renz" sowie dem fran­zö­si­schen Poli­ti­ker Jean-Marc Rou­baud gefor­dert wird, der schlecht­hin jeden bestra­fen will, "der die reli­giö­sen Gefüh­le einer Gemein­schaft oder eines Staa­tes her­ab­setzt"? Offe­ne Gesell­schaf­ten set­zen auf die fried­li­che Koexi­stenz der gro­ßen Glau­bens­sy­ste­me und des Rechts auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung. Die Frei­heit der Reli­gi­on ist gewähr­lei­stet, die Frei­heit der Kri­tik an Reli­gi­on eben­falls. Die Fran­zo­sen, abge­schreckt von Jahr­hun­der­ten kirch­li­cher Herr­schaft, wün­schen Dis­kre­ti­on in Glau­bens­fra­gen. Getrenn­te Rech­te für die­se oder jene Gemein­schaft zu ver­lan­gen, die Infra­ge­stel­lung von Dog­men zu begren­zen, wäre ein Rück­schritt ins Anci­en Régime.

Der Begriff der Isla­mo­pho­bie hat meh­re­re Funk­tio­nen: Er leug­net die Rea­li­tät einer isla­mi­sti­schen Offen­si­ve in Euro­pa, um sie bes­ser zu recht­fer­ti­gen. Er attackiert den Lai­zis­mus, indem er ihn mit einem Fun­da­men­ta­lis­mus gleich­setzt. Vor allem aber will er all jene Mus­li­me zum Schwei­gen brin­gen, die den Koran in Fra­ge stel­len und die Gleich­heit der Geschlech­ter for­dern, die das Recht ein­kla­gen, einer Reli­gi­on abzu­schwö­ren, und die ihren Glau­ben fried­lich und nicht unter dem Dik­tat von Bär­ti­gen und Dok­tri­nä­ren leben wol­len. Also stig­ma­ti­siert man jun­ge Mäd­chen, die den Schlei­er ableh­nen, also gei­ßelt man jene Fran­zö­sin­nen, Deut­schen oder Eng­län­der maghre­bi­ni­scher, tür­ki­scher, afri­ka­ni­scher, alge­ri­scher Her­kunft, die das Recht auf reli­giö­se Indif­fe­renz ein­for­dern, das Recht, nicht an Gott zu glau­ben, das Recht im Rama­dan zu essen. Man zeigt mit den Fin­gern auf jene Rene­ga­ten, lie­fert sie dem Zorn ihrer Gemein­schaft aus, um jede Hoff­nung auf einen Wan­del bei den Anhän­gern des Pro­phe­ten zu unterdrücken. 

Auf welt­wei­ter Ebe­ne wird ein neu­es Mei­nungs­de­likt kon­stru­iert, das stark an das Vor­ge­hen der Sowjet­uni­on gegen "Fein­de des Vol­kes" erin­nert. Und unse­re Medi­en und Poli­ti­ker geben ihren Segen. Hat nicht der fran­zö­si­scher Prä­si­dent selbst, dem wahr­lich kein Lap­sus zu scha­de ist, die Isla­mo­pho­bie mit dem Anti­se­mi­tis­mus ver­gli­chen? Ein tra­gi­scher Irr­tum. Ras­sis­mus attackiert Men­schen für das, was sie sind: schwarz, ara­bisch, jüdisch, weiß. Der kri­ti­sche Geist dage­gen zer­setzt offen­bar­te Wahr­hei­ten und unter­wirft die Schrif­ten einer Exege­se und Anver­wand­lung. Dies in eins zu set­zen heißt, die reli­giö­se Fra­ge von der intel­lek­tu­el­len auf die juri­sti­sche Ebe­ne zu ver­schie­ben. Jeder Ein­wand, jeder Witz wird zur Straftat. 

Schän­dun­gen von Grä­bern oder reli­giö­sen Ein­rich­tun­gen sind selbst­ver­ständ­lich eine Sache für die Gerich­te. In Frank­reich betref­fen sie in erster Linie christ­li­che Fried­hö­fe oder Kir­chen. Über­haupt soll­te man in Erin­ne­run­gen rufen, dass das Chri­sten­tum heu­te unter allen mono­the­isti­schen Reli­gio­nen die­je­ni­ge ist, die am stärk­sten der Ver­fol­gung aus­ge­setzt ist - vor allem in isla­mi­schen Län­dern wie Alge­ri­en, dem Irak, Paki­stan, der Tür­kei oder Ägyp­ten. Es ist leich­ter, Mus­lim in Lon­don, New York oder Paris zu sein als Pro­te­stant oder Katho­lik im Nahen Osten oder Nord­afri­ka. Aber der Begriff der "Chri­stia­no­pho­bie" funk­tio­niert nicht - und das ist gut so. Es gibt Wör­ter, die Spra­che ver­der­ben, ihren Sinn ver­dun­keln. "Isla­mo­pho­bie" gehört zu jenen Begrif­fen, die wir drin­gend aus unse­rem Voka­bu­lar strei­chen sollten.

Pas­cal Bruckner

Aus dem Fran­zö­si­schen von Thier­ry Chervel

Der Arti­kel ist zuerst in Libe­ra­ti­on erschei­nen. Wir dan­ken dem Autor für die Geneh­mi­gung zur Veröffentlichung.

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