Gemeinhin lese ich ja so ca. 30 verschiedene Weblogs - täglich. Da kommt einiges an Information mehrfach vor, Tendenzen zeichnen sich ab, ganz selten ist eine abweichende Sicht dabei.
Nun bin ich aber bei der gestrigen/heutigen Lektüre auf einen Artikel bei "ad sinistram" gestoßen, der mich doch einigermaßen betroffen machte - weniger die Form, sehr der Inhalt, noch mehr einige der Kommentare. Der Reihe nach:
Form
Es wird von der ersten Zeile an ironisiert und verächtlich gemacht, kein gutes Haar an Obama & Umgebung gelassen, keine Differenzierung zwischen den G20-/Nato-/Europa-Akteuren - die doch so offensichtlich außerordentlich verschieden sind - sprachlich kriegt Obama sein 'Fett weg' und nicht den Hauch einer Chance.
Da liest sich feynsinn schon besser: Es wird abgewogen, es werden Fragen gestellt, es wird zitiert - keine wohlfeilen Schlüsse aus eigenem Denkgebäude und ohne ausreichende Informationsbasis.
Ein Zitat scheint mir dafür exemplarisch, deswegen nehme ich es hier auf:
.. Ilan Goldenberg hat in der Huffington Post nicht die großen Worte kommentiert, sondern die leiseren und stellt fest:
“Egal wie populär er überall auf der Welt sein mag, der Präsident könnte niemals die Schäden, die in acht Jahren angerichtet wurden, in drei Monaten reparieren”. Es sei eine gute Woche für die amerikanische Diplomatie gewesen. .. "
Ja, das stimmt.
Nach der Lektüre des De Lapuente'schen Elaborats bleibt bei mir die Frage:
Was hat er denn erwartet? Dem Stil nach zu urteilen könnte auch die bedauerliche Tatsache daß der "Schiefe Turm" nichts gegen seine Schieflage unternimmt Gegenstand der Erörterung sein - es käme auf das Gleiche heraus: Eine Verurteilung, eine Abqualifizierung, ein Verriß ....
Inhalt
Eine pauschale Verurteilung in Bausch und Bogen - damit ist niemandem geholfen. Zumal ich keine einzige Zeile lese in der Alternativen dargestellt werden. Obama niedermachen und als "Demagoge" kennzeichnen, ihn brandmarken und ihm zu unterstellen er nutze seine Hautfarbe als Mittel zum Zweck ist zu leicht. Nein, es ist 'billig'!
Ich habe alle verfügbaren Pressekonferenzen und veröffentlichten Wochenansprachen gesehen/gehört [Whitehouse.com / Blog] und da ist mir der Obama - von dem Roberto J. De Lapuente spricht - nicht begegnet. Ganz im Gegenteil: Alles offengelegt, jede Ausgabe mit Sinn und Höhe dokumentiert, Absichten erörtert und abweichende Sicht in gleicher Wertigkeit dargestellt .... ich wünschte mir, wir hätten erstens Politiker die so bemüht sind Öffentlichkeit zu schaffen und die vor allem wissen wo ihr Volk der Schuh drückt - hier wird doch das Wahlvolk absichtlich für dumm verkauft und im Unklaren gelassen, ja man geht in der Politik hierzulande mittlerweile soweit es offen auszusprechen daß man im Zweifel auch über den 'unqualifizierten' Volkswillen hinaus regieren will - und bedauerlicherweise ja auch kann.
Zweitens wünschte ich mir, daß wir Politiiker hätten die mehr vom Internet verstehen und es deswegen nicht regulieren und 'mundtot' machen wollen - die Diskussionen sind ja so weit verbreite, daß ich mir Links schenke ....
Drittens wünschte ich mir Politiker die wie Obama für Politik begeistern können, solche Persönlichkeiten hatten wir hier auch, einer ist noch unter den Lebenden: Schmidt, der paffende Alt-Kanzler, ein Intellektueller im wahren Sinne, dem die Masse dessen was sich heute hier 'Politiker' nennt nicht genügen kann ....
Kommentar (Auswahl)
.. aber ich, in mir drin, weiß, das die schlacht verloren ist. es kommt keine revolution, wie immer die auch aussehen mag, es kommt keine gegenbewegung, alles ist von denen bis ins kleinste detail vorprogrammiert. warum tut niemand was? warum bewegt sich nix? weil die meisten menschen da draussen nicht mal ansatzweise den schmerz spüren, den wir spüren. sie können nicht mal ansatzweise zwischen gut und schlecht, geschweige denn den schattierungen dazwischen, entscheiden .. "
Diese Aussagen finde ich mehr als bedenklich, denn es wiederholt sich da eine Rhetorik die ich aus der Baader-Meinhof-Zeit sehr gut in Erinnerung habe: Zuerst wird die Passivität der Massen bedauert, dann belächelt - und schließlich glaubt man 'die Massen' wenn sie sich schon nicht mobilisieren lassen wollen wenigstens zwingen zu müssen endlich ihr Glück zu finden - indem man Bomben wirft und exponierte Persönlichkeiten liquidiert.
"wir" sind die, die die Weisheit haben, und die müssen wir auch gegen eine Mehrheit durchsetzen - was ist denn das für ein Verständnis von "Demokratie"?
Oder diese Äußerung:
.. und hoffen, dass Deutschland nie einen "Deutschen Obama" bekommt. Wir hatten schon einen "Führer", und wissen was dieser weltweit angerichtet hat .. "
Das ist so absurd, es ist vor allem aber ein Zeichen von mangelnder Differenzierung. Obama = Hitler? Wer - unter Verkennung der Tatsache, daß es sich schon zuerst einmal um vollig verschiedene Persönlichkeiten mit völlig verschiedenen Absichten handelt - einen solchen Vergleich wählt disqualifiziert sich dadurch selbst .... mehr muß man - will ich - nicht dazu sagen.
Nein, Leute, so geht das nicht!
Das ist genauso absurd wie die Rhetorik der anderen Seite nach der schon wieder alles ins Lot kommt wenn man nur wieder Wachstum, Kredite und Konsum anstößt bzw. erreicht ....
Konsequenz:
Die Frage "Weiter Krieg in Afghanistan?" stellt sich doch so wie das diskutiert wird überhaupt nicht. Es müßte heißen: Wie kommt man da so raus, daß möglichst wenig Schaden auf ALLEN Seiten entsteht? Die Europäer [wir eingeschlossen - nachdem offenbar ist, daß auch die (verlogene!) Regierung Schröder bereits 'Unterstützung' geleistet hat] wollen doch immer "Globalisierung" - und da wäre es doch blauäugig anzunehmen man handele sich da nur Vorteile ein, ein, die Nachteile (Verpflichtungen) gehören schon dazu ....
Es widerspricht auch meinem persönlichen Gefühl von Fairneß einem 60-Tage-im-Amt-Obama jetzt alle Fehler der Vergangenheit zuzurechnen und ihm nicht einmal den Hauch einer Möglichkeit zuzubilligen seine ausgleichenden Ideen in Nutzen für Menschen - egal wo auf der Welt - umzusetzen.
Sogar Mörder erhalten in unserem Rechtssystem nach 26 Jahren eine Chance zur Eingliederung. Das wollen wir doch bestimmt einem demokratisch gewählten Präsidenten nicht versagen ..?!
Unter dem Titel "Alternative Meinungen" habe ich einige Gedanken zum Artikel zusammengefaßt die wegen ihres Umfangs den Rahmen hier sprengen würden - ich bin völlig gegeteiliger Meinung, Herr La Puente, dies aber ohne jeden Groll, denn freier Meinungsaustausch ist zur eigenen Standortbestimmung unabdingbar ....
5. April 2009 02:01
Margitta hat gesagt...
@ wvs,
ich habe Ihre "Alternative Meinung" aufmerksam gelesen und dabei kam mir die Idee, Ihnen das Buch "Ulrike Meinhof" von Jutta Ditfurth zu empfehlen.
Schade finde ich, dass Sie nur zwei ganz persönliche Einzel-Ansichten, aus dem Kontext gerissen, anführen.
Interessiert hätte mich IHRE Meinung zum Kommentar von pillo.
Pillos Ansicht, unterlegt mit dem von mir geschätzten Noam Chomsky, stimme ich zu.
Ansonsten enthalte ich mich jeglichen Kommentars bezüglich Ihrer Rückschlüsse.
Freundliche Grüße
Margitta Lamers
5. April 2009 14:09
@ Margitta L.
/ bei "ad sinistram" noch in der Warteschleife ....
Sie möchten meine Meinung zum Kommentar von pillo wissen. Das will ich gern 'liefern':
Um die Bevölkerung der U.S.A. zu verstehen muß man eine Weile dort gelebt und gearbeitet haben - habe ich, viele Jahre. Es ist auch so, daß ich nicht in Begeisterung für den 'American way of life' zerfließe und unkritisch alle Strömungen von Zeitgeist die dort initiiert werden befürworte - ganz im Gegenteil! Von Außen zu beurteilen ist nämlich fast unmöglich, da man die zugrundeliegenden Rhythmen die dort das Leben 'gliedern' in jedwede Beurteilung eingehen lasen muß. Es reicht nicht ein paar Tage zum 'shopping' nach NY zu fliegen, ein paar Wochen nach Florida oder Californien oder auf eine Rundreise (mit deutscher Führung!) zu gehen um die sozialen und kulturellen Gegebenheiten zu verstehen ....
Allein die wirtschaftlichen/beruflichen Perspektiven in diesem Land zu erkennen dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte - daher wundert es mich immer wieder Beurteilungen von Menschen zu lesen die diesen Hintergrund sicher nicht haben.
Die U.S.-Bevölkerung lebt in Vier-Jahres-Zyklen, individuell um ein, zwei oder drei Jahre verschoben. Den "Grundtakt" geben die Präsidentschaftswahlen vor, die Feinabstimmung wird durch bestimmte Feiertage geregelt, die wiederum für den akademischen Betrieb (und davon abhängend die Einstellungszyklen für neue Mitarbeiter!) maßgeblich sind. Daran orientiert sich dementsprechend das Schulsystem mit Beginn und Ende eines Schuljahres - und ganz zum Schluß steuert es auch das Leben der einzelnen Familie.
Weiterhin muß man wissen, daß das Leben so eingerichtet ist als ob der Westen noch nicht erobert sei: Die U.S.-Bevölkerung ist im Grunde noch immer auf dem 'trail' nach Westen - nur wird dieser Westen heute durch die globale Expansion ersetzt .... diese 'Ruhelosigkeit' ist uns im kontinentalen Europa abhandengekommen, vielleicht noch in Resten vorhanden bei den Holländern und Skandinaviern - das macht sie ja auch so fremd für Viele in unserem Lande.
Als Nächstes muß man die ungeheuere Weite der Natur in U.S.A. und die dadurch so extrem dünne Besiedelung in Betracht ziehen (abgesehen natürlich von den Ballungsräumen - da herrschen aber auch sofort andere Bedingungen). Vieles was uns wegen der räumlichen Enge umtreibt ist dort unbekannt: Das geht beim Umweltschutz los und endet mit der freien Jagd und Fischerei die nahezu keiner Begrenzung unterliegen.
Eine These:
Enges Wohnen und bedrängende Nähe zwischen den Menschen fördert enge Denkstrukturen und kleinbürgerliche Veränderungs- und Ausländerfurcht - das gibt es so in der stärksten Ausprägung bei uns, den Österreichern und den Franzosen, graduell weniger in den anderen EU-Staaten. "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" - hier ist aus meiner Sicht ein Beweis warum Amerikaner und Europäer sehr unterschiedlich denken.
Kurz gesagt:
In einem so riesigen Land mit einer herkunftsmäßig so verschiedenartigen Bevölkerung ist eine "Taktung" des öffentlichen/privaten Lebens eine Voraussetzung für ein funktionierendes Gemeinwesen.
Nach dieser etwas umständlichen Einführung will ich zuerst sagen, daß ich Chomsky als alternative Meinung sehr schätze. Ich habe viele Jahre seine sehr klugen Essays auf NPR, dem Hörer-finanzierten freien Radio, gehört - allerdings diskutiert und argumentiert er ideologisch und weniger logisch als ich es mir wünschen würde:
Das Problem mit "Ideologie" ist der Anspruch auf Ausschließlichkeit, bestes Beispiel waren (!) die Grünen hierzulande vor der ersten Regierungsbeteiligung ....
Diese Chomsky'sche Ideologie ist nicht "anti-neoliberal" sondern "elitär". Warum? Weil Chomsky aus einer sehr exponierten, finanziell und sozial abgehobenen Position heraus gut philosophieren kann, denn er ist persönlich ja von Nichts betroffen über das er nachdenkt und veröffentlicht.
Was nun seine These von der Abfolge der Präsidenten angeht ist das vordergründig schlüssig - es vernachlässigt allerdings die Verschiedenheit der Persönlichkeiten die diese Ämter bekleidet haben. Es vernachlässigt auch ein Faktum, von dem Chomsky nicht ausdrücklich spricht, von dem wir hier in den Medien nichts erfahren weil die Korrospondenten es nicht begriffen haben:
Jeder Präsident ist zuerst "Amerikaner" - und dann erst Präsident! Daher sind alle präsidialen Entscheidungen immer Amerika-zentriert, förderlich vor allem für Amerika und niemanden sonst .... das ist auch bei Obama nicht anders.
Wenn man das verstanden hat wird man auch nicht Unmögliches erwarten oder gar fordern. Man wird Kompromisse anstreben und immer vorsichtig nach den Fallstricken suchen die in Angeboten der Amerikaner stecken:
Die Euphorie, die wir sehen ist nicht etwa deswegen gefährlich weil sie Heranwachsende begeistert, sondern weil sie unsere - geistig weniger beweglichen - Politiker überrollt und in Sicherheit wiegt wo keine Sicherheit erwartet werden sollte ....
Deswegen aber Obama den Vorwurf der Demagogie zu machen ist verfehlt. Er tut das, was Amerikaner tun: Für amerikanische Werte und Vorstellungen werben, sie als das Beste darstellen was auf diesem Globus vorhanden ist. Ihm das vorzuwerfen wäre etwa so, als ob man einem Coyoten vorwirft daß er Schafe frißt ....
Anstatt aber zu demontieren wäre es angebracht zu argumentieren: Vorzubringen wie unsere Sicht der Gegebenheiten ist und Alternativen aufzuzeigen - die Amerikaner sind pragmatisch genug Widerstand zu erkennen und im äußersten Falle Kompromisse dem Scheitern vorzuziehen.
Wenn ihnen aber leichtes Spiel möglich ist nutzen sie diese Schwäche (schamlos?) aus. Es wäre also viel besser wenn de LaPuente und Andere hier unseren Politikern die Leviten läsen und dazu auffordern diese ahnungs- und planlosen Nichtsnutze wegzufegen anstatt Obama zu schelten, der wenigstens 'frischen Wind' und positive Stimmung verbreitet - schauen Sie sich doch 'mal dagegen die sauertöpfische Merkel an, da ist mir Obama schon lieber.
Ein letzter Aspekt:
Die These "Wachstum zu erreichen ist die erste Priorität" sehe ich völlig abgesetzt von meinen vorherigen Ausführungen. Ich bin nämlich überzeugt, daß es kein stetiges Wachstum wie in den vergangenen einhundert Jahren geben wird, es kein stetiges Wachstum geben kann.
Aber auch da sehe ich bei Obama Ansätze in die 'richtige' Richtung: Er setzt auf alternative und erneuerbare Energieen - mindestens da müßte doch einmal die Kritik (hierzulande) verstummen, denn was die Amerikaner anpacken mache sie zum Erfolg. Weil sie - anders als hier - schon mit der Distribution beginnen wenn die Planung erst bei 50% angekommen ist: 'in-process-evaluation-and-quality-assurance', nicht erst Planungen bis 120% wie bei uns ....
Das ist der wesentlichste Unterschied:
Amerikaner packen an und tun - wir versuchen das Optimum durch Planung zu erreichen. Seit vielen Jahrzehnten, ohne dazuzulernen: Deutsches Wesen eben, von Bürokratie und Mittelmäßigkeit werden jegliche Abweichungen 'erstickt' - das kann kein gutes Ende haben.
Es hat sich auch noch ein "Proudhon" am 5. April 2009 um 18:59h zu Wort gemeldet:
" .. wvs praktiziert einen obama-woodoo-cult. ist nicht aus zu halten. ein gläubiger obamanianer .. "
Da sage ich nur:
Eine sehr ausgewogene, umfassend recherchierte und daher fundierte Meinung - bedauerlicherweise in schwachem Deutsch.
Wahrhaftig ein ernstzunehmender Kommentator ....