Beklagenswerte Fehlgriffe bei der Beurteilung von Personen sind im privaten Leben nicht unbedingt problematisch. Allerdings sieht das grundsätzlich anders aus wenn es um Auftritte vor größerer Öffentlichkeit geht. Da kann ein Fehlgriff hinsichtlich eines "ausgewiesenen Experten" schon recht unangenehme Auswirkungen haben.
Gemeinhin geht man davon aus, dass ein studierter und promovierter Fachmann eine breite Expertise in seinem Fachgebiet hat. Das kann, muß allerdings nicht automatisch korrekt sein.
Nehmen wir beispielsweise einen promovierten und habilitierten Chemiker. Der wird über die Chemie im Allgemeinen und über sein Promotionsthema im Besonderen fundiert Bescheid wissen. Wenn es um sein Spezialgebiet - durch Habilitation nachgewiesen - geht, gibt es wohl nicht viele Menschen auf der Welt, die sich da mit ihm messen können. Solche Themen bedingen außerordentlich spezialisierte Fachkenntnisse, die so tief in die Materie eindringen, dass sie bestimmt mit Recht als "Nischenwissen" eingestuft werden können.
Jetzt stellen wir uns vor, ein Programmverantwortlicher sucht einen Chemiker der zur globalen Erwärmung etwas sagen soll. Da wissen die meisten Menschen, dass es etwas mit CO2, Stickoxiden und Schwefelverbindungen zu tun hat. Ganz versierte wissen zudem, dass auch Schwermetalle in Abgasen ein nennenswertes Problem für die Umwelt darstellen.
Da ist der Fachwissenschaftler in einer Zwickmühle:
Einerseits hat er natürlich vertiefte Kenntnisse zu der Interaktion von chemischen Substanzen - andererseits fehlen ihm Kenntnisse hinsichtlich der Beurteilung von metereologischen Abläufen, die eine Konzentration oder Reduzierung bestimmter Stoffe beeinflussen.
Ein verantwortungsbewußter Wissenschaftler wird in einer solchen Situation drauf verweisen wo seine Grenzen der Expertise liegen - und im Zweifel davon Abstand nehmen sich öffentlich dazu zu äußern. Wir Alle kennen aber das Gegenteil - und Menschen tun schon verrückte Dinge nur um einmal im Rampenlicht stehen zu können ....
Betrachten wir jetzt einmal einen anderen Bereich, die Geisteswissenschaften. Da zu unterscheiden wer welche Expertise besitzt ist bei weitem schwieriger als bei den Naturwissenschaften.
Dass ein bekannter und promovierter, gar habilitierter und veröffentlichter Autor Vieles weiß und dazu etwas sagen kann ist klar. Aber wird er stets, in jedem geisteswissenschaftlichen Fach, wissen, wovon er redet ...? Häufig wird argumentiert, dass ein Wissenschaftler x Zitate hat, und deswegen glaubwürdiger sei als jemand, der zwar ebenfalls (beispielsweise) Psychologie studiert hat, aber nur einen Bachelorabschluß erreichte und nirgendwo zitiert wurde.
Wenn aber das Thema Philosophie oder Politik ist?! Nein, akademische Autorität funktioniert nicht so, dass Autorität in einem Fach gleichzeitig Autorität in weiteren, randständigen Feldern bedeutet! Wer Psychologie studiert hat und sich dort eines hervorragenden Rufes erfreut kann - und wird wahrscheinlich - in der Anthropologie, der Philosophie, der politischen Geschichte oder sogar der Sozialpsychologie etwas Falsches sagen, wenn sein Schwerpunkt die klinische Psychologie ist.
Geht es allerdings alleine um das Renommee, den Bekanntheitsgrad, also darum, eine "Autorität" vor sich zu haben, so ist dieser nicht automatisch eine Kompetenz zuzuordnen - im Gegenteil, hier darf und muß die Frage gestellt werden auf Grund welcher Fachkenntnisse sich diese Person äußert.
Mein Punkt ist, dass ein Wissenschaftler vielleicht promoviert hat und in seinem Fach anerkannt ist. Oft spricht ein solcher Mensch über viele Bereiche, die außerhalb seines Fachgebietes liegen, was bedeutet, dass er nicht mehr notwendige Autorität über diese Themen hat als Sie oder ich.
Um fair zu sein:
Es sieht so aus, als ob diese Tatsache nicht von allzu vielen Beobachtern so erfasst wird. Das ist ein großes Ärgernis. Ermöglicht es doch manchem Scharlatan so eine Karriere aufzubauen und durch die Lande zu tingeln. Leute nehmen das ernst was von dieser Person kommt, dabei bestehen die Aussagen größtenteils aus dem, was außerhalb der Expertise gesagt wird. Dabei werden viele allgemeine Fehler und spezifisch sachliche Fehler auftreten - nur kümmert es in vielen solchen Fällen niemanden mehr.
Talkshows leben davon solche *Experten* einzuladen - und bedauerlich ist, dass dabei die sogenannte "Publikumswirksamkeit" einer Person wichtiger ist als deren Wissen bzw. die Fertigkeit dieses Wissen verständlich zu artikulieren. Von der Politik will ich in diesem Zusammenhang gar nicht erst anfangen .... sonst schreibe ich noch in ein paar Wochen.
Ich bin immer wieder überrascht, wie oft wir ähnliches denken, aber nur sie schreiben es auf. :-D
Als Ausrede nehme ich mal die aktuellen Maladen des Rückens, die mich vom PC die meiste Zeit fernhalten.
Mir fiel ähnlich zu ihnen vor kurzem, und von Frau Zuckerwattewolkenmond hier verlinkten ZDF Beitrag auf, dass der gute Herr Lesch als gelernter Astrophysiker sich recht locker zu biologischen Themen äußert und -so meine Vermutung- qua seiner Profession als Experte dabei wahrgenommen werden wird. Was er aber definitiv nicht ist. Mein guter Bio-Doc-Kumpel formulierte es so:Physiker haben ein eher statisches Verständnis, Biologen ein dynamisches...der gute Herr Lesch, dessen Sendungen ich mag, fabuliert also meistens fachfremd - dennoch als Experte in der Wahrnehmung der Rezipienten. Ich denke ein Problem. O.k. , besser, als wenn eine der Pappnasen aus der Politik dazu was absondert, aber dennoch, problematisch.
Schreiben wir es doch besser der Tatsache zu, dass Sie im Gegensatz zu mir noch nicht über uneingeschränkte Selbstbestimmung verfügen .... es freut mich allerdings, wenn ich da ein auch für Sie wichtiges Thema habe.
An den Herrn Prof. Lesch dachte ich bei meinem Artikel auch, allerdings eher am Rande, denn er ist sehr vielseitig bewandert und kann in manchem Randgebiet (zu seiner Kernkompetenz) noch fundierter Auskunft geben als mancher spezifisch gebildete Fachwissenschaftler. Zudem kann er - was vielen seiner Kollegen fehlt - Dinge einfach ausdrücken um sie verständlich zu machen. Dabei leidet manchmal die wissenschaftliche Präzision, das läßt sich kaum vermeiden.
Die Sichtweise der einzelnen Fachrichtungen - da stimme ich dem Bio-Doc-Kumpel zu - ist schon verschieden. Das Gute bei der Diplom-Biologenausbildung war (ob es das noch ist kann ich nicht sagen) die Breite der Disziplinen im Grundstudium: Chemie, Physik, Lebensmittelchemie, Botanik, Zoologie, Mikrobiologie und Pysiologie (heute heißt das Biochemie, und die Genetik steckte noch in der Mikrobiologie). Lehramtsbiologen hatten ein sehr viel geringer strukturiertes Pensum, vor allem was die Randfächer anging - dafür wurden in deren Hauptstudium andere Inhalte behandelt als bei uns:
Während die Diplomanden sich im Hauptstudium spezialisierten wurden die Lehrämtler mit Basiswissen in den Teilgebieten ausgestattet.
Vielfach waren diese Unterschiede/Fertigkeiten noch bei Personalern unbekannt - und dementsprechend hatten es Diplom-Biologen schwer eine angemessene Anstellung zu finden. Obwohl sie doch Chemiker und Lebensmittelchemiker hätten leicht ersetzen können.
Worum es mir hauptsächlich ging waren die Disziplinen der Geisteswissenschaften, beispielsweise liegen doch Philosophie, Sozialwissenschaften und Psychologie recht nah beieinander, ebenso wie Soziologie und Politologie.