Aus der Serie "Opa erzählt vom Krieg":
Das "Rückversicherungs-Prinzip"

Mei­ne Groß­mutter (väter­li­cher­seits) war zeit­le­bens nicht beson­ders reli­gi­ös. Etwa ein Jahr­zehnt vor dem Aus­gang des 19. Jahr­hun­derts gebo­ren, war es aller­dings für eine Dame der höhe­ren Gesell­schaft nicht *schick­lich* sich als ungläu­big zu 'outen'. Man blieb nach außen hin der Tauf­kon­fes­si­on treu, was man dach­te ging nie­man­den etwas an. Sie erzähl­te mir ein­mal, dass es auf dem abge­le­ge­nen Gut wenig Abwechs­lung gab und daher der Kirch­gang für sie eine will­kom­me­ne 'Zer­streu­ung' dar­stell­te. Zumal gera­de Frau­en (und ins­be­son­de­re jun­ge Damen) sich sel­ten aus ihrer gewohn­ten Umge­bung her­aus beweg­ten, es sei denn, es muß­ten drin­gen­de Din­ge wie ein Arzt­be­such oder Klei­der­kauf in der nächst­ge­le­ge­nen Groß­stadt erle­digt wer­den. Das war wegen des damit ver­bun­de­nen Umstan­des eine wirk­li­che Seltenheit.

Da hat­ten wir nun eine jun­ge Frau die der Kir­che eher fern stand, das aber nicht nach außen zei­gen, geschwei­ge denn dis­ku­tie­ren konn­te. Ihr Glück war einen Mann zu fin­den, der selbst mit Kir­che wenig im Sinn hat­te. Trotz­dem hei­ra­te­ten die Bei­den kirch­lich (pro­te­stan­tisch) - es wäre anders gesell­schaft­li­cher Unter­gang gewesen.
Das jun­ge Paar zog als­bald nach Ham­burg. So befrei­te es sich von gesell­schaft­li­chen Zwän­gen und konn­te die Vor­tei­le der eher anony­men Lebens­wei­se in der Groß­stadt für sich nut­zen. Der frü­he Tod des Man­nes, mei­nes Groß­va­ters, im I. Welt­krieg über­schat­te­te das wei­te­re Leben der jun­gen Mut­ter - sie hat­te erst zwei Jah­re zuvor einen Kna­ben gebo­ren, mei­nen Vater. Allein­ste­hend und fast mit­tel­los, mit Kind, als 'höhe­re Toch­ter' nicht in einem Brot­be­ruf aus­ge­bil­det, zu einer Zeit, in der es bei­lei­be nicht als 'nor­mal' galt auf die­ser Basis sein Leben zu führen.

Das war - nach ihrer eige­nen Aus­sa­ge - der Zeit­punkt in dem sie sich voll­ends von der Kir­che löste und fort­an beim Amte als *kon­fes­si­ons­los* ein­ge­tra­gen war.

Nach die­ser etwas län­ge­ren Vor­ge­schich­te geht es nun um das, was der Titel anspricht: Rückversicherung!

Die Frau Groß­mutter hat­te das Pech in höhe­rem Alter an Par­kin­son zu erkran­ken, was in der dama­li­gen Zeit, den fünf­zi­ger Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts, noch schlecht behan­del­bar war - es gab nur ein ein­zi­ges Medi­ka­ment, Arta­ne, das zur Ver­fü­gung stand. Dane­ben wur­de mit Ada­man­t­an [genau­er: Aman­t­a­din] expe­ri­men­tiert, heu­te ist es als Viro­sta­ti­kum und in einer Mol­kül­ab­wand­lung als Mit­tel gegen Demenz in Gebrauch. Die Pro­gno­se war daher nicht beson­ders rosig, weil sich selbst unter Medi­ka­ti­on das Voll­bild der Krank­heit in etwa zehn Jah­ren ent­wickel­te. Damals, heu­te kann dies wesent­lich ver­zö­gert werden.

Wegen der fort­schrei­ten­den Sym­pto­ma­tik muß­te mei­ne Groß­mutter dann schließ­lich in ein Pfle­ge­heim ein­zie­hen, weil nur dort eine "Rund-um-die-Uhr"-Betreuung mög­lich war. Es war ein katho­li­sches Pfle­ge­heim, spe­zia­li­siert auf die Erkran­kung und zudem noch in der Nähe zu unse­rem Wohn­ort, sodass mei­ne Eltern ab und an dort hin fah­ren konn­ten. Als älte­stes Kind - mei­ne Schwe­stern sind 8 und 10 Jah­re jün­ger - durf­te ich mehr­mals mit­fah­ren um die Groß­mutter, die immer hin­fäl­li­ger wur­de, zu besuchen.

Als es zwi­schen­durch ein­mal sehr schlecht um sie stand und wir sie besuch­ten erzähl­te sie mir, sie sei nun auf alles vor­be­rei­tet, denn sie habe die soge­nann­te *letz­te Ölung*, ein katho­li­sche Ritu­al, erhal­ten. Mein Vater frag­te sie, wie­so sie das zuge­las­sen habe, wo sie doch ihr Leben lang kir­chen­fern gelebt habe, wor­auf sie antwortete: 

"Man weiß ja nie - und scha­den kann es bestimmt nicht!"

Das Prin­zip heißt "Rück­ver­si­che­rung" - soll­te man sich geirrt haben und es gibt doch einen Gott kann es ja nicht scha­den, sich ihm noch vor dem Tode zuzuwenden. 

Die­ses Prin­zip fin­det man häu­fig, auch hin­sicht­lich ganz ande­rer Gege­ben­hei­ten. So wäh­len bei­spiels­wei­se vie­le Men­schen einen Ver­ein nicht wegen des Ver­eins­zweckes, son­dern um dazu zu gehö­ren. Oder sie gehen zu Bet­krei­sen, kirch­li­chen Chö­ren, etc. - weil es gemein­hin ja posi­tiv auf­ge­nom­men wird sich da zu inte­grie­ren um 'gute Taten' und 'christ­li­ches Ver­hal­ten' zu zeigen.
Es ist nach mei­ner Auf­fas­sung eine nicht beson­ders ehren­wer­te Hand­lung etwas abzu­leh­nen und sich dann irgend­wie 'abzu­si­chern' - es ist wie Ver­rat am eige­nen Den­ken und Han­deln, min­de­stens aber unehrlich.

Aber wer weiß? Mög­li­cher­wei­se sitzt ja die Frau Groß­mutter auf einer Wol­ke und amü­siert sich könig­lich engels­gleich über mei­ne Ausführungen ....


Wei­te­re Posts zu "Opa erzählt vom Krieg":

Sai­son­wa­re
Bur­ger & Kopfrechnen ....

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Kommentare

  1. Ich mag ja in die­sem Zusam­men­hang, der Rück­ver­si­che­rung, den guten alten Schorsch Büch­ner aus God­de­l­au, der im Klas­si­ker Dan­tons Tod "Tho­mas Payne(Paine) fol­gen­des sagen lässt:Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Ölung geben, die Füße nach Mek­ka zu legen und sich beschnei­den las­sen, um ja kei­nen Weg zu ver­feh­len. Der gesam­te drit­te Akt, erste Sze­ne ist eine mei­ner Lieb­lin­ge in der Literatur.
    Sie sehen, auch damals zog man ähn­li­che Schlüsse. ;-)

    Ich habe 2010 etwas vor­wurfs­voll in Rich­tung der Aus­sa­gen des tot­kran­ken Chri­sto­pher Hit­chens " Er wol­le nicht aus­schlie­ßen, dass „irgend­ei­ne völ­lig ver­äng­stig­te, gepei­nig­te Per­son, wel­cher der Krebs in das Hirn gekro­chen ist", im spä­te­ren Ver­lauf sei­ner Krank­heit eine sol­che Bemer­kung machen wür­de. Er kön­ne jedoch garan­tie­ren, dass die­se Enti­tät nicht Chri­sto­pher Hit­chens sei." da der link zur FR eben­falls tot ist, hier ein link der das Zitat beinhal­tet, ziem­lich anma­ßend in einem Forum geschrie­ben:Mir tun dabei zwei Din­ge leid, erstens das ein Mensch an Krebs ster­ben muss und zwei­tens, das ein 'beken­nen­der' Athe­ist sich solch ein Hin­ter­tür­chen offen hält - das erscheint mir hoch­gra­dig inkon­se­quent. . Letzt­lich hat sich Chri­sto­pher Hit­chens ja dann doch nicht an Gott gewandt, son­dern starb ohne sich an sei­ner Über­zeu­gung ver­sün­digt zu haben. Aber man sieht, auch hier -selbst wenn es anders gemeint war- droht eine poten­ti­el­le Rück­ver­si­che­rung, bzw. wird von den Gläu­bi­schen erhofft.

    Mei­ner Erfah­rung nach, die aller­dings zuge­ge­be­ner­ma­ßen eher begrenzt ist auf die­sem Gebiet und die auch nicht fun­diert ist, keh­ren Men­schen, die reli­giö­se Erzie­hung in ihrer frü­hen Kind­heit genos­sen haben, spä­ter gedank­lich häu­fig zurück zu den Äng­sten ihrer Kind­heit und wohl auch zu poten­ti­el­len Hoff­nun­gen, viel­leicht auch daher man­che Rückversicherung?

    1. Unter dem Link fand ich zwar nicht was Sie da als Zitat genannt haben - aber das macht ja nichts, der Text steht da. Bei einer zwei­ten Durch­sicht sah ich es nun ....

      Ich wun­de­re mich - so ganz neben­bei - wie es die­se Schau­spie­ler schaf­fen den Text (unter dem Link) zu memo­rie­ren und dann auf der Büh­ne feh­ler­frei wie­der­zu­ge­ben. Das ist an sich schon eine Lei­stung. Als ich ein­mal den "Marat" auf der Büh­ne sah ist mir das noch gar nicht so auf­ge­fal­len wie eben gera­de, als ich den Text mehr­mals las.

      Was den *Rück­fall* in die christ­li­che Gemein­schaft angeht mag es wohl zutref­fend sein wie Sie es andeu­ten. Die Angst vor dem Tod treibt selt­sa­me Blü­ten. Und wer kann schon behaup­ten er sei stets und in jeder Lebens­la­ge (!) davor gefeit zurück zu kon­ver­tie­ren .... ich habe ja gera­de vor ein paar Wochen zum Tod / Ster­ben Stel­lung genom­men - und dabei blei­be ich auch.

      PS
      Ich habe stets behaup­tet - und im Fal­le Hit­chens bewahr­hei­te­te sich das ja wohl - dass die Sum­me aller Gesund­heits­be­la­stun­gen (Noxen) redu­ziert wer­den muß um zu leben wie es die gene­ti­sche Aus­stat­tung erlau­ben wür­de. Alko­hol, Rau­chen, gro­ße & zu kalo­rien­rei­che Nah­rungs­por­tio­nen, Bewe­gungs­man­gel - das sind die vier gro­ßen Gefähr­dun­gen .... und offen­bar ist es atsäch­lich eine syn­er­gi­sti­sche Wir­kung: Jede zusätz­li­che Noxe addiert sich nicht nur, sie erhöht das Risi­ko über­pro­por­tio­nal [also nicht 1 + 1 = 2 son­dern 1 + 1 = 2,5 faches Risiko].

      2. PS
      Wit­zi­ger­wei­se zählt der Bei­trag bei WIKIPEDIA offen­bar das Rau­chen nicht als Noxe ;c)

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