Wenn ich Ihnen, liebe Lesende, erzählte, dass ich kürzlich ein Buch von einem Wirtschaftsprofessor zum Thema "Warum die EU in Wirschaftsfragen inkompetent ist" gelesen habe, dann werden Sie verschiedene Gedanken dazu haben.
Vielleicht denken Sie
"Wird er uns jetzt eine Zusammenfassung des Buches liefern?"
oder
"Das muss ein ziemlicher Wälzer gewesen sein, durch den er sich da gearbeitet hat!"
oder
"Bestimmt gibt es Bücher, die genau das Gegenteil dessen beinhalten, was da im Titel des gelesenen Buches steht - hat er so etwas auch gelesen?"
Oder Sie haben möglicherweise ganz andere Gedanken ....
Kämen Sie vielleicht auf die Idee, ich sei durch die Lektüre des Buches nun ein Fachmann für EU-Wirtschaftsfragen?
Wohl kaum.
Sie wissen nämlich:
Um in Wirtschaftsfragen kompetent Aussagen zu treffen bedarf es nicht nur eines einschlägigen Studiums der Wirtschaftswissenschaften sondern zusätzlich einer jahrelangen Erfahrung in Berufsfeldern, die Wirtschaft praktisch steuern. Die im Studium erlernten Inhalte zu verstehen und in praktisches Handeln umzusetzen und das - nachweislich - erfolgreich getan zu haben ist eine ganz wesentliche Sache.
"Fachlich kompetent" wird man also nicht durch das Lesen eines einzigen Buches, bestimmt auch nicht durch das Lesen mehrerer Bücher. Da fehlt die Grundlage, und deswegen gehen Sie zu verschiedenen Vortragsveranstaltungen zu Wirtschaftsthemen, mal ein paar Stunden am Abend, mal einen Tag, mal mehrere Tage zu einem "Seminar".
Da bekommen Sie am Ende eine Teilnahmeurkunde in der steht "Frau/Herr X.Y. hat am Seminar 'Wie ich meine Finanzen ordne und richtig anlege' mit Erfolg teilgenommen" - darunter haben der Kursleiter und der Beauftragte des Veranstalters unterschrieben, beides Menschen mit Titeln, ein Dr. Dipl.-Ing. und Prof. Dr. Diplom-Volkswirt & für Finanzwesen. Das macht 'was her!
Geschafft!
Nun sind Sie nachweislich kompetent und schreiben ein Buch zum Thema "Alternative Möglichkeiten der Geldanlage - so werden Sie reich in 12 Monaten!"
Hätten Sie nun den Eindruck, dass hier ein Buch eines kompetenten Menschen vorliegt, dessen Rat Sie eher befolgen sollten als den eines Anlageberaters bei ihrer Hausbank, der drei Jahre gelernt hat, dann zweieinhalb Jahre die Sparkassenakademie in Vollzeit besucht hat und seine Tätigkeit seit mehreren Jahren erfolgreich ausübt?
Wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind werden Sie sich nun fragen was das denn soll, denn oben im Titel steht doch "Gesundheitswesen" - was hat das denn mit Wirtschaft und Finanzen zu tun? Das, liebe Lesende habe ich lediglich als Beispiel gewählt, weil sich bei Gesundheit & Medizin sofort die Geister scheiden und Emotionen ins Spiel kommen.
Was an diesem Beispiel gelernt werden kann & soll:
Ein paar Bücher zu einem Thema gelesen zu haben, ein paar Veranstaltungen zum Thema besucht zu haben, in Seminaren zum Thema gesessen zu haben, ersetzt keinesfalls ein ordentliches, weltweit anerkanntes Studium der Humanmedizin, und schon erst recht nicht die jahrelange Erfahrung im Beruf.
Jetzt kommt der Teil auf den Sie bisher gewartet haben
- denn nun geht es um eine Karriere im Gesundheitswesen.
Eine Drogistin. Mit einer Drogistenausbildung, die als Teil der Tätigkeit eine Prüfung speziell zu 'Giftstoffen' enthält, die sie mit "ausreichend" gerade so bestanden hat. Dazu das 'Studium' von mehreren Büchern, eines davon geschrieben von einem "h.c. Doktor", ebenfalls Drogist von Beruf, der sich den Titel in Russland gekauft hat.
Weiterhin mehrere Veranstaltungen, mal ein bis zwei Stunden, mal etwas länger und dazu noch einige Seminare, über das Internet gestreamt, die über einen bis mehrere Tage dauerten.
Die Frau ist schockiert weil sie beide Elternteile verloren hat - und Schuld daran ist die "Medizin", nicht etwa das falsche Verhalten der Mutter. Die Diabetes Typ I hatte und immer wieder aus Nachlässigkeit unterzuckerte und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Der Vater, an Darmkrebs erkrankt, starb trotz Chemotherapie und Behandlung - ein Schicksal, das alljährlich Tausende Menschen trifft. Schlimm, aber so ist nun mal das Leben. Manche sterben früher, andere später. Ohne dass irgendwer oder irgendetwas als "Schuld" daran identifizierbar ist.
Da gibt es Menschen wie die oben erwähnte Tochter, die mit dem Verlust nicht fertig werden und nach "Schuldigen" suchen. Was liegt da näher, nicht zuerst an genetische Disposition oder falschen Lebenswandel zu denken, sondern der Behandlung, der Medizin, die Schuld zuzuweisen?
Das weiß sie ganz genau, denn sie ist nun "ganzheitliche Präventionsberaterin"¹ - eine Bezeichnung, frei erfunden, für die es keine geregelte Ausbildung gibt.
Doch, halt!, sie hat ja doch mehr anzubieten:
- Drogistin gelernt
- ein Fernstudium zur online-Texterin und –Redakteurin abgeschlossen
- zahlreiche Kurz-Seminare, ein- und zweitägige Fort- und Weiterbildungen absolviert
- unzählige "Fachbücher" (zweifelhafter Autoren) durchgearbeitet
Das Einzige was fehlt ist eine fundierte medizinische Ausbildung, nicht einmal eine Heilpraktikerausbildung kann sie vorweisen, wo die doch schon für wenige Tausend Euro zu haben ist. Dennoch ist sie mit der Befähigung (!) die (selbsterfundene?) Bezeichnung "ganzheitliche Präventionsberaterin" zu tragen sicher, dass nur eine "alternative Medizin" die Welt, die Menschen retten kann. "Befähigung", wohlgemerkt, nicht etwa "Ausbildung" oder "Studium".
Ich gebe zu, ich habe ein Vorurteil gegen solche Menschen. Das basiert darauf, dass ich "Forschung und Beweise" für wichtiger halte als "Meinung und Wunschdenken" .... aber wer bin ich schon, der ich mit zwei abgeschlossenen Hochschulstudien als Naturwissenschaftler gearbeitet habe - da ist eine Drogistin mit vielen gelesenen Büchern und ein paar Wochenendseminaren doch bestimmt kompetenter ....
Der eigentliche Skandal ist allerdings, dass es in unserem Land erlaubt ist dergleichen Hokuspokus als "Alternativmedizin" zu bezeichnen und gutgläubige Menschen dadurch zu täuschen und zu schädigen.
¹ Das sollte uns zu denken geben:

Weitere Quellen, die Scharlatanerie entlarven:
Ⓐ Der “Ratgeber-News-Blog” ( → ratgebernewsblog2.wordpress.com) behandelt in der Hauptsache irrationale Glaubenssysteme, wie Esoterik, Anthroposophie, Alternative Heilmethoden und fundamentalistische christliche Strömungen. Eine wissenschaftliche und somit kritische Auseinandersetzung mit den Themen steht im Vordergrund.
[Eng ausgerichtete Wissenschaft]
Ⓑ Die GWUP möchte wissenschaftliches bzw. kritisches Denken und wissenschaftliche Methoden verbreiten, allgemeinverständlich erklären und echte Wissenschaft klar von Parawissenschaft abgrenzen. Auf diese Weise will sie dazu beitragen, die Anfälligkeit der Gesellschaft für parawissenschaftliche Vorstellungen und Versprechungen abzubauen.
[Breit gefächerte Wissenschaft]
Ⓒ Onkel Michasels kleine Welt: Ich bin ein ganz normaler Mensch jenseits der 40, der mit beiden Beinen im Leben steht. Meine Hobbys sind Herumlungern, Nichtstun, gegen Priester hetzen und ständige Subversion.
[Humotvoll verbrämte Wissenschaft]

Siehe auch folgende Artikel:
→ 04/2006 Homöopathische Verdünnungen ....
→ 01/2009 "Probiotisches" essen & trinken .... *update* [05.04.2019]
→ 07/2010 "Geld verdienen mit HOKUSPOKUS" ....
→ 07/2010 Noch mehr "HOKUSPOKUS" ....
→ 01/2011 "Alle Ding' sind Gift, und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist."
→ 01/2012 Dinge, die die Welt nicht braucht ....
→ 03/2013 Empörung ....
→ 04/2014 3sat
→ 06/2019 Es wirkt! Tatsächlich?
→ 10/2019 BodyFocus "Leberentgiftung" [BodyFokus Clean Body Restart]
→ 02/2020 "I did a liver cleanse" [Leberreinigung]
→ 02/2020 Was mich vom Hocker reißt ....
Ich glaube, Gesundheitswesen ist schlichthin die Branche, bei der sich am meisten selbstbetitelte Quacksalber legal herumtreiben können, nicht?
Liegt auch mit daran, gerade wenn es um Lifestyle oder Lebensberatung geht, mentale Dinge sind dort das Zentrum der Sache - und sich in mentalen Dingen einen Ratschlag holen, das kann man auch von dem besten Freund/der besten Freundin. Im Prinzip ist es "deine Sache", wem du vertraust und wessen Urteil du zum Maßstab machst.
Obwohl - gäbe es mehr fähige Psychotherapeuten, oder wäre manchmal der gesellschaftliche Zusammenhalt besser, dann bräuchte man diese selbstberufenen teueren Lebensberater nicht.
Die sind nur da, weil es genügend Leute gibt, die nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen, und das Konzept der Telefonseelsorge haben sie schon durchschaut, dass die generell alles versuchen zu bestärken, was die als "positiv" ansehen, egal was man auch sagt...
Weil ich einige der Klassenkameraden meiner Kinder, Kinder von Bekannten und Verwandten kenne, die Medizin oder Psychologie studiert haben, hat sich mein Misstrauen diesen Berufen gegenüber eher noch verstärkt als gebessert. Ich könnte ganze Bände füllen mit den erstaunlich unwissenden Damen und Herren der medizinischen Zunft. Begegnungen die ich selbst mit ihnen von Berufs wegen hatte. Vielfach solche, die weit oben in der Hierarchie angesiedelt waren und daher das Budget verantworteten.
Das Gesundheitswesen war noch nie seit der Antike so sehr auf "profit" getrimmt wie heute - und da ist es bei uns nur wenig besser als in USA. Der einzige Unterschied ist, dass man hier durch die Art der Versicherung nicht persönlich verarmt - dafür zahlen alle Einzahler in die gesetzlichen Kassen viel zu viel im Verhältnis zu dem, was das System heute leistet.
Man möchte fast sagen: Die paar Quacksalber machen doch nicht das Gesundheitswesen aus - warum also aufregen?
Es ist die Gefahr, die von diesen 'Möchte-Gern-Selbsternannten_Heilern' ausgeht, die ein Vielfaches höher ist als bei den hochschulstudierten Ärzten. Die wissen wenigstens was man auf keinen Fall machen darf und halten sich daran - die Alternativbehandler (Heilpraktiker:innen) wissen oft nicht was sie da tun und deswegen sind sie tickende Zeitbomben.
Bei manchen gängigen selbstausgedachten Berufsbezeichnungen im Gesundheitswesen ist es doch so wie bei der Kosmetikerin, wenn mich recht entsinne, nicht? Offiziell ist es keine feste Berufsbezeichnung, folglich gibt es keine festgelegten Voraussetzungen dafür, ab wann man sich so nennen darf und demzufolge auch keinen "Qualitätsstandard", was die können oder wissen müssen.
@ matrixmann
Die Kreativität hinsichtlich der Berufsbezeichnungen für die es keine staatlich geregelte Ausbildungs- und Prüfungsordnung gibt ist mannigfaltig, was natürlich eine Herausforderung für den 'mündigen Verbraucher' bedeutet. Der, wie leicht zu erkennen ist, die überwiegende Zahl nicht gewachsen ist. Es fehlt an Wissen und Informationen von neutraler Seite, obwohl sich da in den letzten Jahren durch das Internet doch manches sehr zum Besseren geändert hat.
Leider ist die Chance vertan worden bei dem Eintritt immer neuer Länder in die EU gleichzeitig einmal diese Regelungen hinsichtlich der Berufsausübung klarer zu machen - es war lediglich eine Abschwächung unserer festeren Regeln zu verzeichnen. Von der Verwässerung der Hochschulausbildung will ich gar nicht erst anfangen ....
Schöner Artikel, lieber Wolfgang!
Ich bin mir nicht sicher, ob diese neue (?) Mode, existentielle Aufgaben den Laien und Quacksalbern zu überlassen und aufzuerlegen, gewollt ist oder, der übergroßen Scheuklappen wegen, nur nicht mit ihren Problemen gesehen wird. Ein ganz konkretes Beispiel ist der § 217 StGB, der in Deutschland die Sterbehilfe regelt. Noch ist es so geregelt, dass nur Angehörige und nahestehende Personen (nicht genauer definiert) einem Sterbewilligen beim Sterben straffrei helfen dürfen. Ärzte oder erfahrene bzw. qualifizierte Sterbehelfer dürfen das nicht.
Die Sache ist kompliziert und ich habe leider gerade keine Zeit das zu vertiefen. Aber ich beschreibe die Problematik hier in meinem Blog, in dem ich von meinen Erfahrungen berichte. Erfahrung deshalb, weil ich meiner Mutter beim Sterben geholfen habe. Die ganze hanebüchende Geschichte, wie der Gesetzgeber einem blutigen Laien eine existentielle Aufgabe aufgebürdet hat, kannst hier lesen:
http://sterbegeschichten.de/meine-sterbegeschichte/
Das BVerfG gibt übrigens am 26.02.2020 sein Urteil bekannt, weil vielfacht gegen ihn geklagt wurde. Es wird vermutet - und noch viel mehr gehofft - dass der § 217 StGB zur Reparation an die Politik zurück gegeben wird. Am 25.02.2020 bringt die ARD um 21:45 Uhr bei Report Mainz auch nochmal ein Beitrag zum Thema.
Jetzt bin ich aber ordentlich abgeschweift... Du hast vollkommen Recht mit Deiner Ansicht auf die Quacksalber und deren Selbstdarstellung. Was ich nicht zusammen bekomme ist, wie es in einer hochtechnologisierten Wissensgesellschaft möglich sein kann, dass Menschen mit einem derartigen Unsinn Erfolg haben können? Okay, die Welt ist komplex, viele sind auf der Suche nach dem Ursprünglichen, wollen raus aus dem Hamsterrad, welches uns der Kapitalismus in das Leben gestellt hat. Aber muss man denn da gleich vor lauter Angst ins Unterholz kriechen? Welche Rolle spielt dabei das Bildungssystem, in dem die Kinder alles Mögliche lernen, außer, wie man richtig lernt? Was macht der Rotstift mit einer Gesellschaft, wenn er über alle sozialen Erkenntnisse und Errungschaften schmiert, aber so einen Unsinn wie Homöopathie subventioniert?
Die große Frage ist also, ob das gewollt ist und wenn ja, weshalb?
Beim Bildungssystem selbst fängt es an, in zweierlei Hinsicht:
Einmal weil es die verkehrten Menschen zu Medizinern macht.
Zweitens weil es der Masse der Menschen nur ungenügend Kenntnisse über ihren Körper und seine Funktionen beibringt.
Kein Wunder also, wenn Viele den Heilsversprechern deren Schwurbelschwatz glauben und noch zahlen dafür, dass man ihnen das Fell über die Ohren zieht!
Vielfach ist das, was geschrieben wird noch nicht einmal falsch - nein, ich habe Texte bei Nahrungsergänzungsmittelanpreisungen gelesen die sind wie aus dem Lehrbuch (abgeschrieben?). Was allerdings dann meist folgt ist die vollkommen irrationale, teilweise widersprüchliche Verbindung von Versprechen zu den Produkten mit dem zuvor geschriebenen Text.
Es werden Einzelsubstanzen genommen zu denen es Literatur gibt. Deren Aussagen werden miteinander vermischt - dabei ist es nie so, dass man diese Zusammenstellungen von mehreren Substanzen irgendwie geprüft hätte - und das ist unzulässig, weil man nicht wissen kann welche Wechselwirkungen zwischen den einegsetzten Stoffen da sind .... möglicherweise sogar gegenteilig zu dem, was laut Beschreibung erreicht werden soll.
Dabei unterstelle ich bei den Vertreibern (Pyramidensystem!) sogar noch Unwissnheit und Nachplappern auswendig gelernter Sprüche, nicht bösen Willen und die Absicht zu schaden. Das ändert allerdings nicht die Lage für die Patienten die das Zeug einnehmen. Wenn es Schäden macht reden sich die Verkäufer mit ihren Klaúseln zu "nicht versprochene Heilwirkung" raus.
Deine Texte habe ich gelesen und bin erschüttert, dass es ja noch so viel schlimmer ist als ich bisher angenommen hatte. Vor allem die Einzelheiten rund um Beschaffung uns Ausführung sind tatsächlich wohl für die Masse eine Überforderung - wenn sie schon für besser gebildete Menschen problematisch sind, die nämlich wenigstens wissen WIE man sich fehlende Informationen verschafft.
Wenn Du nichts dagegen hast werde ich das in die Liste der herausgehobenen Links aufnehmen und dazu schreiben man möge den Link breit teilen und so streuen.
Den Termin 25.02.2020 / 21:45 h / ARD habe ich notiert - da ich keinen Fernsehapparat mehr besitze werde ich auf die Mediathek (oder wie das heißt) zurückgreifen müssen. Danke jedenfalls für den Hinweis.