Als Naturwissenschaftler schaut man eher auf einzelne Fakten als auf eine umfassende Sichtweise, diese zeichnet sich höchstens aus der Summe der Befunde irgendwann ab und ändert dann notwendigerweise die Basis des Wissens, schreibt also 'neue Erkenntnisse' und verwirft teilweise alte Ergebnisse.
Ganz anders ist es, wenn man die Geschichte der Menschheit, der eigenen Nation, des unmittelbaren Lebenskreises betrachtet. Ich wage mich heute auf fremdes Territorium: Geisteswissenschaft. "Geschichte" aus naturwissenschaftlicher Sicht, unverbrämt, ungeschönt, unverzerrt.
Eine *kreativ veränderte* Sicht der Geschichte kommt von vielen Seiten. Jede dieser Sichtweisen basiert auf dem Wunsch für die Gegenwart die Vergangenheit so erscheinen zu lassen, dass sie möglichst vorteilhaft für die eigene Argumentation/Person ist.
Dabei ist es doch kein Mangel, wenn man in der früheren Geschichte sowohl kleine als auch große Fehler auf der 'eigenen' Seite zulässt und wahrheitsgetreu darstellt. Es macht Geschichte eher zu einer lebendigen, plausiblen und chaotischen Realität und weniger zu einem gut gemachten und vielleicht noch besser erzählten Märchen.
Eine breitere Sicht der Geschichte kontrastiert Geschichten mit unumstößlichen Fakten, die nicht immer zur vorher festgelegten Erzählung passen, die manche Menschen gern andere glauben machen wollen.
Geschichte hat Höhepunkte, aber nur wenige Endpunkte. So lange man lebt werden Änderungen nötig, denn es handelt sich nicht um einen statischen, sondern einen dynamischen Prozess.
Wovor man sich hüten sollte ist, Entscheidungen zu hinterfragen, die vor einem bestimmten Hintergrund in früheren Jahren getroffen wurden. Die äußeren Umstände zu beleben, sie so darzustellen wie es war, ist schon unmöglich:
Man hat die Sichtweise auf Vergangenes nur aus der eigenen Perspektive - und die "Geschichtsschreibung" orientiert sich nach wie vor am 'großen Ganzen' und nicht an Einzelschicksalen (Ausnahmen ausgenommen!).
Wo wir aufmerksam sein müssen ist, jeder 'kreativen Neufassung' auf die Spur zu kommen, denn Manipulationen sind heutzutage schneller und umfassender möglich als früher, wo man noch Papier und Stift brauchte und Fälschungen leicht zu erkennen waren. Elektronisch ist Vieles machbar geworden - und die aktuelle Macht strebt gern danach ihre angeblichen Wurzeln etwas geschönt zu vermitteln.
Oh, dazu fallen mir zwei Fraktionen ein, die Umdeutungen in der Neuzeit gern versuchen zu etablieren...
Nur frei heraus mit der Sprache - an wen denken Sie da?
Einerseits diese ganze Trog "Feminismus/Identity Politics", und dann das Establishment hierzulande, dass sich seit Jahren mit Élan bemüht, das Bild von der DDR nur noch verbunden mit "Mauer, Stasi und Stacheldraht" zu etablieren - damit die gegenwärtigen Misstände dieses Staates vergessen gemacht werden.
Die 'Sieger' bestimmen doch seit Anbeginn der Menschheit die Darstellung der Geschichte .... Orwell sagt: "Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit." (George Orwell, 1984)"
Das ist natürlich einen Riesenschweinerei - aber noch gibt es ja Alternativen zur offiziellen Lesart.
Feminismus, ein Reizwort! Ich bin bestimmt der Letzte, der Frauen etwa Rechte absprechen wollte, doch die militante Variante "Ich will Alles - und zwar sofort, und das bitte unter Umkehr der früheren Machtverhältnisse" ist ja bestimmt keine anhaltende Lösung, sondern erzeugt unnötigen Widerstand!
@matrixmann
Das Problem mit der DDR ist, dass all das, was gut war (z.B. Zusammenhalt, Improvisationstalent, Zugehörigkeit) Folgen und Ausdruck der Umstände war. Die Umstände waren vor allem Mangel an allen Ecken und Enden und das Diktat des Politbüros.
Man kann das Gute der DDR nicht ohne das Schlechte in ihr denken, wenn man ehrlich bleiben will. Das Gute in der DDR entstand nicht aus sich selbst heraus, sondern weil die Menschen der Umstände wegen dazu gezwungen waren. Ein gutes Netzwerk war wichtig, wenn man bestimmter Dinge habhaft werden wollte, wie z. B. Konsumgüter, Ersatzteile oder Baustoffe.
Mauer, Stasi und Stacheldraht haben zu dem geführt, was wir Ossis heute als gut empfinden und haben es gleichzeitig - und damit auch sich selbst - wieder zerstört. Die fehlende Reisefreiheit war nur ein kleiner Teil der Frustration, denn zum Glück hatten wir ja die Ostsee und FFK. Aber spätestens als man nicht mehr sicher sein konnte, ob einen nicht der beste Freund, der Bruder oder die eigene Ehefrau bespitzelte, war das Urvertrauen in andere Menschen erschüttert. Das war einer der großen Sargnägel der DDR, wenn nicht gar der Größte.
Die DDR war eine Diktatur. Punkt. Sie hat Menschen in unmenschliche Gefängnisse eingesperrt, die sich politisch gegen sie engagierten. Sie hat Menschen getötet, die sie verbotenerweise (!) verlassen wollten oder längere Zeit zu "den Politischen" gesperrt. Sie hat ihre Kinder indoktriniert (ich habe heute noch die mistigen Texte und Melodien, der "Arbeiterkampflieder" im Kopf, die ich gegen meinen Willen gezwungen war zu lernen und mitzusingen) und sie hat Kinder militarisiert (GST = gelockt wurde mit dem Führerschein, für den man sich sonst mit langer Wartezeit anmelden musste).
Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie den Eindruck gewinnen konnten, dass "dieser Staat" die DDR hernimmt, um von seinen eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken? Wo und wann macht er das? Und wie? Mir ist das noch nie, jedenfalls nicht als politische oder mediale Strategie, aufgefallen.
@wvs
Seufz, ja, das ist natürlich so...
Aber, ich muss bemerken, seit dem dieser Pfarrer Bundespräsident war, von dem man unter der Hand sagt, er ist auch nur dann noch zum Widerstand gegegangen, als die Lawine schon rollte und es nicht mehr so viel zu befürchten gab - seit dem intensiviert sich die Medienpropaganda dazu wieder. Es gab viele Jahre, wo das Thema lediglich zu den besonderen Tagen aufkam, die geschichtlich darin relevant waren, und dann war es auch wieder vorbei.
Jetzt wird inzwischen jeder Stein wieder drei Mal umgedreht, um dadrunter einen neuen Aspekt zu finden, in dem die DDR besonders schlecht war - allerdings, ohne die Rechnung aufzumachen, welche Zustände oder Umstände zeitlich in diesem Punkt in der BRD herrschten.
Das fällt leider einfach auf... Man muss es so sagen.
Bei mir ist das F-Wort auch schon lange ein Reizwort, und ich habe diverse Gründe dafür.
Vor allen Dingen versucht man Feminismus in so ziemlich alles hineinzureden, was mit Frauenrechten zu tun hat - ohne dabei zu berücksichtigen, das Feminismus erst nach dem 2. Weltkrieg entstand. Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Marie Curie können keine Feministinnen gewesen sein, weil es diese Denkeweise und diese Ideologie dort noch nicht gab. Zudem ist sie ein Produkt aus Übersee...
@ Olaf
Ich weiß nun nicht, aus welcher Gegend du stammst... Soweit mir bekannt hat das selbst innerhalb der DDR ein Gefälle gegeben, was diese ganze Tyrannei des Staates und seiner Repräsentanten gegen die normale Bevölkerung anging (darunter eingeschlossen: Leute, die es zu einem Posten geschafft haben, und sich jetzt mit ihrem Titel wie der letzte Arsch aufspielen).
Zu der Sache mit dem Mangel und der Reisefreiheit (als große Zugpferde unter den Argumenten) will ich mal näher drauf eingehen.
Klar, die Bevölkerung hat kompensiert, weil sich die Umstände nicht ändern ließen.
Allerdings - die Umstände an sich sind nicht rein die Schuld von den damaligen Regierenden.
Es gibt da zwei Dinge: Unter Ulbricht war im Handel (insbesondere international) vieles noch ein wenig anders; die Materialknappheit stellte sich erst in den späten 70ern/Anfang der 80er ein, als Erich kam - und, was ich vermuten würde, die Ölkrise auch hier ankam.
Das kann man drehen und wenden wie mal will - auch damals war es schon so, dass man sich nicht einfach auf eine abgelegene Insel zurückziehen und einen Zaun drum machen konnte und sich einlullen konnte, alle globalen Wirtschaftsprobleme gehen jetzt an einem vorbei. Das stimmt überhaupt nicht!
Mir ist das jedenfalls durch Leute bekannt, die in der Zeit vor Erich schon gelebt haben (auch als Erwachsene), dass es dort längst nicht so schlimm war wie später mit der Materialknappheit oder dass es nichts zu kaufen gab. Das fiel mit dem Wechsel an der Spitze zusammen. Irgendwas müssen die durch Ulbricht damals gehabt haben (ich vermute mal: Beziehungen), was Erich später dann nicht mehr hatte.
Die andere Sache ist mal die - und die muss ich so radikal auf den Tisch werfen wie sie ist:
Was wäre, wenn der Euro plötzlich nichts mehr wert wäre? Stände man dann noch genauso da wie jetzt, dass die Läden voll wären? Man sich Produkte sonstwo in der Welt fertigen lassen kann, um sie dann nur noch zu importieren?
Genau so ein Problem hatte die DDR. Die DDR-Mark war nirgendwo anerkannt; jede Bank, jeder Händler hat dir gesagt "Besorgen se sich doch erst mal anständiges Geld!".
Das kann heutzutage jeden Land der Welt von heute auf morgen genauso gehen, wenn dessen Währung plötzlich für äußerst gering gehandelt wird oder sogar boykottiert wird.
Dann bedeutet es nämlich "Allen Kram, den ihr haben wollt, müsst ihr selbst produzieren - oder es gibt geben nichts.".
Die DDR hat in dem Fall ein menschlich anderes Verbrechen begangen: Sie hat sich zum China Europas machen lassen. Für alle anderen Länder wie bescheuert produziert, zu Lasten der eigenen Umwelt und der eigenen Bevölkerung, nur um ein paar Devisen abzubekommen. Selbst Medikamententests, die man heute in Indien oder anderen Gegenden der Welt vornimmt, wo sich die Leute keine moderne Medizin leisten können, gehörten später auch dazu. (Einzig bleibt hier im Dunkel: Wussten die Ärzte das über die Medikamente, die sie verabreichten, im Glauben, dass sie helfen, oder haben die etwas in die Hand bekommen, von denen man ihnen den genauen Hintergrund nicht erzählt hat?).
Das moralisch verwerfliche daran: Sie haben für Länder produziert und an sie verkauft, die sonst ihrem wirtschaftlichen System Tod und Teufel an den Hals gewünscht haben. Haben sich wissentlich als Billiglohnland missbrauchen lassen und haben darum noch ein Geheimnis gemacht, weil es nicht in die oberste Doktrin passte, mit dem Feind doch Beziehungen eingehen zu müssen - vor allen Dingen solche, wo sie der sind, der (im übertragenen Sinne) unten liegt.
Die Reiseunfreiheit und das ganze Geschnüffel ergab sich aus einem ganz anderen Aspekt: Hier in Europa standen sich zwei Blöcke von Atomraketen gegenüber.
Keiner wollte, dass irgendjemand davon auf den Knopf drückt.
Beide Seiten haben aber Spionage und Sabotage daneben betrieben, sodass es hätte dazu kommen können.
Allen voran waren dann noch die Dispute der beiden großen Siegermächte, die hier in Mitteleuropa standen, für die Deutschland sowas wie ein Puffer zwischen ihnen war, der im Ernstfall hätte das erste abfangen dürfen.
Faktisch war es so: Nach dem 2. Wk war dieser Fleck hier immer noch im Kriegszustand.
Die Seite hier wollte in dieser Hinsicht nichts anbrennen lassen, sie wollten nicht vernichtet werden nur wegen irgendeinem dummen Geplänkel (und "Geplänkel" gab es viel bis die Mauer stand).
Darum ging das nicht einfach so mit dem Reisen.
Einen anderen Aspekt daran, hergeleitet aus dem Präsenz wie das z. B. mit "nach Nordkorea reisen" ist: Wie soll man reisen, wenn die Länder, zu denen man hin wollen würde, gar keine Verbindung zum eigenen Land anbieten?
Nach NK z. B. kommt man heutzuage nur über China und über eine Verbindung über Weißrussland, die mal vor Jahren eingerichtet wurde. Sonst nicht. Es landet kein westlicher Flieger dort.
Abschottung kann man auf zweite Wege erreichen: Indem, dass sich das betroffene Land selbst abschottet - oder, indem, dass der Rest der Welt dieses Land boykottiert und keine Beziehungen zu ihm pflegt bzw. sie sogar ablehnt. Stichwort: Sanktionen usw..
So bekommt man das auch hin.
Wie weit das der Fall war, lässt sich für mich schlecht sagen, weil ich dafür zu jung bin - aber das will ich als wichtige Denkanregung dalassen, weil viele diese zweite Methode nicht bedenken.
Warum soll da der Eindruck aufkommen, man benutzt die Schandtaten und die Misstände der DDR, um von eigenen abzulenken?
Einerseits, dass in der Gegenwart eher wenig in der BRD ordentlich läuft, was nicht die Politiker und die Reichen betrifft - und das kontinuierlich wachsend seit Jahren.
Andererseits - wenn z. B. irgendeine Doku sich auf einen bestimmten Aspekt festbeißt, es wird kaum oder nie der Vergleich zu ähnlichen Strukturen in der BRD in der selben Zeit gezogen.
Weißt du, was mit Kindern von bekennenden oder auch nur verdächtigten Kommunisten in der Zeit passiert ist, als man die KPD verbot? Ob denen nicht auch die Kinder weggenommen und sie in "ordentlichere" ( = linientreue) Familien gegeben wurden?
Was ist mit solchen, die außerhalb der Ehe geboren wurden? Die haben das ihr Leben lang zu hören bekommen, obwohl die nicht mal wussten oder verstanden, warum.
Minderjährige Schwangere wurden genötigt, den Kindsvater zu heiraten, damit kein (faktisch unsinniges) Stigma auf ihnen lastete.
Weiß man, was mit minderjährigen Schwangeren in der BRD passierte, die keinen Kindesvater zum heiraten hatten? Ob da nicht auch Kinder einfach zur Adoption freigegeben wurden wegen der "Schande auf der Familie"? Oder gar abgetrieben oder getötet mit Wald- und Wiesen-Methoden?
Über Vorkommnisse in bestimmten Jugendwerkhofeinrichtungen oder Heimen wurde in der jüngsten Zeit berichtet. (Ich formuliere es so, weil ich die Generalisierung nicht übernehmen will, weil es zu viele Leute umgekehrt auch gibt, die sagen, ihnen hat das gut getan. - Ich hätte da eher im Verdacht, dass in konkreten Standorten solche Strukturen eingefleischt waren und über Günstlingswirtschaft dagegen nichts unternommen wurde.)
Die BRD hatte da auch Einrichtungen, häufig von der Kirche betrieben. Nach außen hin Wohlstätigkeit, drinnen dagegen wurden die Kinder systematisch schickaniert, verprügelt, sexuell missbraucht, illegal Medikamente an ihnen getestet - die Schilderungen, die mir eine Betroffene in einem Selbsthilfeforum dazu mal gab, das erinnerte mich stark an die religiöse Vernarrtheit der Mutter von Carrie (aus Stephen Kings Erstlingswerk). Schickaniererei, weil ein Mädchen im beginnenden Pubertätsalter seine Periode kriegt usw. ...
Für die Insassinen von solchen Heimen war Ulrike Meinhof später eine Heldin (man denke daran, die hatte auch mal an einem Film mitgewirkt, der sich um das Thema drehte).
Ich denke, solche Details sprechen Bände wie es in solchen Einrichtungen u. a. zugegangen ist.
Wo ist das zum Vergleich in ihren DDR-Bashing-Dokus?
Auch, stelle ich in Erzählungen von schwerst Traumasierten fest, in der BRD wurden Kinder, die zu anderen als Pflegekinder gegeben wurden, zu Menschen hingebracht, da wurde kein bisschen nachkontrolliert, ob die es da gut haben würden. Die sind in sonstwas gelandet, was scheinbar die Kohle für diesen "Dienst" brauchte, und dort haben die dann ein Martyrium erlebt, von dem jahrelang niemand irgendwas gewusst oder bemerkt haben will.
Keine Ahnung, welche Kriterien da zählten, aber offensichtlich ging es da auch nicht mit dem Kindeswohl zu, sondern mit irgendwelchen anderen Dingen (analog zu hiesigen Begünstigung von Linientreuen).
Beim Thema "geraubte Kinder" gibt es inzwischen sogar eine aufgedeckte Systematik in Spanien, die über Jahrzehnte ging, bis in die Neuzeit reicht, von der man unter Hand behaupten kann, es hat mit dem ideologischen Schatten von Franco zu tun.
Kinder kaufen oder das Geschäft mit der Leihmutterschaft heute ist sogar ein Problem, das in der Gegenwart besteht. Bloß die DDR hat so etwas gemacht? Unsinn!
Und gerade auch der bekannt gewordene Fall des Gustl Mollath sollte einem verdeutlichen - auch in der BRD werden politisch unliebsame oder Leute, die feste Klüngelstrukturen bedrohen, im Ernstfall beiseite geschafft. Getötet, gesuizidet, für dumm erklärt oder deren Leben ruiniert.
Die Veterinärärztin, die Anfang der 90er schon BSE erkannte, hat man auch ihre Karriere kaputt gemacht; später gen Ende der 90er wurde daraus ein großes Thema gemacht, weil es nicht mehr zu übersehen war. Drei mal darf man raten, warum das so lief. Lobbyismus und "erzähl doch bloß keine negativen Dinge!" usw..
Zum Thema "Anscheißerei" kann ich mich auch auslassen:
1.) Anscheißerei floriert.
2.) Schreib irgendwas im Internet, was man in irgendeine bestimmte Richtung verbiegen kann, und du hast irgendein Verfahren am Hals - wenigstens kriegst du Besuch zu Befragung nach Hause geschickt, "was du denn damit meinst". - Und nein, das macht man nicht nur bei eindeutigen Nazi-Äußerungen.
3.) Dem Beschuldiger wird immer mehr geglaubt als dem Beschuldigten - wenn der Anscheißer behauptet, bestimmte Dinge gesehen oder gehört zu haben von dir, kann es passieren, du hast einen SM-Gangbang mit dem SEK in deiner Bude gewonnen. - Es geht kein Mensch über Anschuldigungen mal drüber, versucht sich das größere Bild der Situation anzusehen (z. B. Hat der Anscheißer schon drei Mal was über seinen Nachbarn behauptet, was am Ende nicht stimmte? - Oder hat sich jemand gegen äußerste verbale Anfeindungen gewehrt?), oder wiegt ab, welche Maßnahmen adäquat wären. Wenn bestimmte Dinge in den Vorwürfen vorkommen, dann wird mit sprichwörtlichen Kanonen auf Spatzen geschossen, ohne Rücksicht auf Verluste.
3.) Ist irgendwas an den Anschuldigungen im Entferntesten dran, fragt niemand mehr danach wie es zustande kam - der Schuldige bist vollständig du.
4.) Bei bestimmten öffentlich wahrzunehmenden Interessenlagen wird erst mal allen unterstellt, dass sie irgendwas böses vorhaben - da wird nicht zwischen potentiellem Amokläufer, Grufti, Psychologiestudent/-therapeuten, Zocker, Filmliebhaber, Fetischisten oder was weiß noch was unterschieden. Sind alle erst mal "potentielle Gewalttäter", meinetwegen auch "gegen den Staat" (also Nazis/gewaltbereite Linksextreme).
Über Schnüffelei und wie man deine Interessen oder nur einzelne Äußerungen von dir auf die Goldwaage legen kann, um sie gegen dich zu verwenden - darüber soll mir niemand mehr erzählen, dass dieser Staat das nicht auch macht. Das weiß ich (leider auch aus eigener Erfahrung) besser.
Und - worüber würden wir uns heutzutage beschweren, wenn nicht solche Themen wie "Rasterfahndung", "Staatstrojaner", "Online-Durchsuchung" oder "Vorratsdatenspeicherung" mal wieder auf den Tisch kämen? Ist das was anderes, als seine Bürger ohne Anfangsverdacht einer Straftat ausspionieren zu wollen?
Es gibt viele Beispiele aus der gleichen Zeit, bei den man nur über die DDR herzieht, und noch viele mehr in der Gegenwart, wo man sagen kann "das läuft doch nicht sehr viel anders" - und genau in dem Moment komm dann irgendwas aus der Vergangenheitskiste, womit man öffentlich den Eindruck wieder forcieren will "Guckt doch mal wie gut es euch heute geht!".
...Das ist mir zu plump platziert, um nicht hindruch zu sehen, was damit bezweckt werden soll. Hat nicht mal was von raffinierten Versuchen psychologischer Beeinflussung.
@ matrixmann
Ich habe in der Zeit zwischen 65⁄66 mehrere Besuche in der DDR gemacht, u.a. waren wir (Junge Presse, Vertretung der Schülerzeitungen in Schleswig-Holstein) beim damaligen Kulturminister eingeladen und es war ein sehr anregendes Gespräch - aber der Mann war ein intellektueller Geist, der sich schon dadurch von den Betonköpfen mit bürgerlichem Mittelmaß absetzte.
Ich bin sicher, dass es hüben wie drüben gute und schlechte Menschen gab - was aber sicher nicht verleugnet werden kann ist die gnadenlose Verfolgung von 'Abweichlern' und 'Feinden des Sozialismus'. Zwar gab es im Westen ebensolche Verfolgung von Abweichlern, sie waren jedoch nie mit dem Tode bedroht oder mit langjährigen Gefängnisstrafen [Abgesehen vielleicht von Baader-Meinhof, gegen die die Staatsgewalt (mit einigen Alt-Nazis in Schlüsselpositionen, denen sie zuvor mächtig auf die Füße getreten waren) mit aller Kraft vorging und sie schließlich kaltstellte.]
PS: Achso, das fällt mir ein...
Bitte nicht übel nehmen, wenn ich im oberen Beitrag das "du" verwendet habe. Bin's normalerweise so gewohnt, da steckt keine böse Absicht hinter...
Vielen Dank für die wirklich lange Antwort. So lang werde ich es wohl nicht schaffen. ;o)
Mach Dir keinen Kopf wegen dem Du. Das Sie ist den Österreicher:innen geschuldet, mit denen der werte WVS gerne verkehrt (und ich auch) und die mögen es nicht, wenn man sie als Piefke so mir nichts dir nichts duzt.
Ich komme übrigens aus dem Bezirk, welcher damals das Kfz-Kennzeichen L und F hatte.
Alles was Du sagst, die ganzen Aufzählungen über Unrecht, welches im (ach so freien) Westen geschah, ist sicher richtig und belegbar. Einige Sachen sind ja auch allgemein bekannt. Aber das gilt gleichermaßen für hüben und drüben.
Hier ist der Dreh- und Angelpunkt die Frage, ob man das Unrecht des Einen mit dem Unrecht des Anderen vergleichen oder gar miteinander aufwiegen kann? Argumentativ ist es (neudeutsch) "Whataboutism", also die Antwort mit Kritik auf Kritik. Empathisch betrachtet haut es alle Opfer vor den Kopf. Für deren erfahrenes Unrecht ist es nämlich egal wer der Peiniger war. Unrecht ist Unrecht ist Unrecht. Hüben wie drüben und überall sonst auf der Welt.
Deshalb muss man die Frage nach dem Unrecht im Kontext des jeweiligen Landes betrachten und darum kann man die DDR nicht mit der BRD vergleichen. Es ist wie die Gegenüberstellung von Birnen und Äpfeln. Beides ist Obst, aber gleich sind sie nicht.
Was mir auf die Nerven geht ist, wenn die Ossis heute so tun als wäre die DDR das bessere Deutschland gewesen. Das war sie nicht. Wenn sie das gewesen wäre, so muss man sich die Frage stellen, was die vielen Leute damals wohl wollten, als sie bei den Montagsdemos hundertausendfach "Wir sind das Volk!" riefen.
Nein, es war längst nicht alles schlecht in der DDR. Manches war sogar besser als "im Westen". Aber sie war eine Diktatur. Spatzen, die sich gegen sie auflehnten, wurden mit Kanonen erschossen.
Ich will nicht, dass das vergessen wird.
@ wvs
Ich begreife es inzwischen so: Ost und West haben jeweils verschiedene Methoden, um ca. zum selben Ergebnis zu kommen.
Vielleicht auch der Sache geschuldet, dass die Verfolgung im Osten zu aufsehenerregend war und nachweislich zu viel Unmut erzeugt hat, darum fährt der Westen gerade die subtile Tour und wendet "Tod" wirklich nur noch in absoluten Notfällen an. (Die sind aber auch vorhanden, man denke nur an Assange, Snowden, Manning hat es auch nicht leicht.)
Letztlich konnte sich der Westen ja mal die Erkenntnisse des Ostens einpacken und davon lernen.
Das mit dem "Tod" korrigiert sich in dieser Zeit ohnehin dazu hin, dass er angewendet wird, allein dadurch, weil man den Twitter- und Facebook-Mob gewähren lässt bzw. zu dumm ist, selbst mit jeglicher technischer Spionagetechnik der Welt dem Einhalt zu gebieten.
Das Kind muss man auch benennen; so stimmt das auch nicht mehr, dass hier kein Abweichler mit dem Tode bedroht wird. Es kommt nur nicht zwingend aus den Reihen des Staates.
@ Olaf
Mit den Bezirkskennzeichen wusste ich jetzt nichts anzufangen, aber man kann ja mal die Suchmaschine fragen, ob die weiterhilft...
Das ist in etwa, was ich mir dachte.
Ich kriege das nämlich selbst mit, dass in den südlicheren Regionen der DDR teilweise doch sehr andere Bandagen angelegt wurden als das bei den Nordlichtern der Fall war.
Gerade die Regionen, die heute ihre Volkstümelei herausholen und Wunder wie Deutsch tun, obwohl sie selbst nicht mal mehr ordentlich Deutsch schreiben können, nehme ich, wenn es um Erzählungen geht, so wahr, dass die auch schon damals ganz schöne "Übererfüller" waren. Also, d. h. egal welches Régime kam, man wusste wie man mit vollster Energie dort mitmacht, als wenn es da irgendwas besonderes zu gewinnen gäbe.
Die schwelgen teilweise auch heute übelst in Erinnerungen und jammern am lautesten, was ihnen alles genommen wurde, obwohl sie damals Kohl freiwillig gewählt haben.
Ich weiß, was Whataboutism ist.
Letztlich, worum es mir in der Sache ging, ist: Die eine Seite wird als dämonisch dargestellt, die andere wird in den Himmel verherrlicht, wird so getan, als hätte es bei ihr kein Unrecht gegeben, und es wird stetig ausdrucksstark betont "schaut doch wie gut ihr's alle bei uns habt!", während, wenn man mal unter der Oberfläche nachschaut, da ähnlich dreckige Ecken zum Vorschein kommen, was man der dämonisierten Seite zum Vorwurf macht.
Das ist für mich an der Geschichte, was mir sagt, hier wird Agitprop betrieben in der feinsten Sorte.
Und das stört mich an der Stelle sehr.
Da halte ich es ähnlich wie Somuncu, jeder darf sich sein Fett abholen. Wer alles mit Sünde versehen ist, der darf sich das gleichermaßen anhören - und nicht bloß einer.
Nebenbei, dass man sagen muss, wenn man in die Gegenwart schaut, da sind ja gar nicht mal unähnliche Tendenzen wie 89⁄90 wieder vorhanden. Es geht wieder um Misstände im Staat, existentielle Mängel, alte Knochen, die die Posten nicht räumen wollen, eine Wirtschaft, die bewiesen hat, dass sie so nicht mehr weiter funktioniert, und Andersdenkenden-/Kritikerverfolgung, jegliche Ablehnung von Veränderung des eingefahrenen Systems.
Ach ja, wo du die "Wir sind das Volk!"-Sache erwähnst...
Ich sehe es als komplexe Sache inzwischen so, ähnlich wie bei dem Aufstand vom 17. Juni, die Initialzündung, die kam wirklich aus dem Volke und wollte auch etwas bestimmtes ändern - aber, als die Marktschreier aufkamen, die plötzlich die Deutsche Einheit mit ins Spiel brachten, ab da wirkt es auf mich wie der Prototyp einer Farbenrevolution (als man dieses Konzept eines gesteuerten Aufstandes und diesen dazugehörigen Begriff noch nicht kannte).
Denn um die Deutsche Einheit ging es kaum einem zu dem Zeitpunkt; es ging darum, dass die alten besserwisserischen Knochen mitsamt ihrem Schnüffel- und Verfolgungsregime verschwinden, Platz machen für Jüngere und deren Vorstellungen davon wie es laufen soll. Inklusive, das Produktionsregime sollte verschwinden (wo zwar produziert wird, dass es keinen Morgen gibt, aber man selbst kriegt nichts im Laden zu kaufen von dem, was man auf der Arbeit noch produziert hat).
Beim Aufstand vom 17. Juni war es auch schon so - zuerst kam ein Aufbegehren aus dem Volk, was berechtigte Gründe hatte, und als der Westen mitkriegte, da ist was im Anmarsch, da hat's dann aus dem RIAS gebrüllt, es sollen sich bitte möglichst viele Leute daran beteiligen - man hat versucht, die Kontrolle über die Sache zu übernehmen, um sie in die eigene gewünschte Richtung zu lenken. Klappte da nur nicht, weil unerwartet Panzer von Moskau geschickt wurden.
Gen Ende der 80er wusste man, die SU ist soweit gegen die Wand gefahren, da wird keiner mehr kommen, wenn man versucht, eine Farbenrevolution unter einem aufrichtigen Volksaufstand zu realisieren... Wenn man nicht Gorbi die DDR direkt noch abgekauft hat, um sie zu übernehmen.
Weiter stützendes Indiz für die Theorie hier wäre auch, dass Kohl damals die Aussicht hatte, bei seiner zweiten Wahl nicht wiedergewählt zu werden. Praktisch war er dazu gezwungen, sich neue Wähler zu erschließen - und zu seiner Persönlichkeit würde es durchaus passen, sich den Wahnwitz anzumaßen, es mit dem Anschluss eines ganzen Staates zu probieren, um sich diese zu besorgen.
Nebenbei, dass bei der Übernahme dieses einen bestimmten Staates sein Name im Geschichtsbuch landen würde und man ihm fortan, auf beiden Seiten, politisch aus der Hand fressen würde, aufdass er lange oben thronen darf - als der König, für den er sich hielt... (und der er dann schließlich auch tatsächlich wurde)
@ matrixmann
Gesellschaftlich geächtet zu werden und von mächtigen Staaten verfolgt zu sein ist natürlich schon so etwas wie "tot" .... weniger spektakulär - und es gerät dadurch schneller in Vergessenheit.