Mein Interesse gilt der Frage ob es denn überhaupt möglich sein wird "Chancengleichheit" herzustellen.
Dazu zunächst zwei Anmerkungen:
Meine Frau war Grundschullehrerin, ich selbst war eine Zeit lang an einem Gymnasium, dann an der Universität und später viele Jahre in der betrieblichen Erwachsenenbildung tätig.
Eine Grundfrage ist doch, ob es tatsächlich eine "Gleichheit" in den Fähigkeiten der Menschen gibt. Bedauerlicherweise wird diese Frage bei den meisten Veröffentlichungen total ausgeklammert, so, als ob es einen 'Einheitsmenschen' gäbe, auf dessen Leistungsfähigkeit und Lernfähigkeit abgestellt man nur die Bildung ausrichten müsse um Allen die gleichen Chancen zu ermöglichen.
Mir kommt es so vor, dass das Bestreben nach "Gleichheit" dem Bild entspricht man wolle ein Haus bauen, dessen Fundament man nur vage beschreiben kann, und dessen vorhandenen Eigenschaften man nur erahnt, sich wünscht, oder nur von einer kleinen Zahl der Gesamtkohorte tatsächlich faktisch erfassen konnte.
Das führt doch unweigerlich zum 'Stochern im Nebel', anders gesagt: zu einer ständigen Spirale von Annahmen und Erprobungen. So, wie wir sie seit Jahrzehnten in den verschiedensten Ausprägungen in Deutschland sehen, und was bedauerlicherweise nicht dadurch besser wird, dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht.
Wären die mannigfaltigen Wege tatsächlich angemessen gewesen, so hätten wir doch nach den Reformen und Umstellungen der vergangenen 50 Jahre ein sehr viel besseres Bild vorliegen als es den tatsächlichen Verhältnissen entspricht.
Das Grundübel scheint dieses Scheuklappen-Denken im Bildungsbereich zu sein, nach dem jedes Kind jede Leistung erbringen kann - wenn man nur erkannte / vermutete Hürden schleift und einen individuellen Förderansatz leistet. Das war - und ist! - ein Wunschdenken, das in der Wirklichkeit keine Entsprechung hat.
Wie beobachtet werden kann sind Kinder unterschiedlich körperlich leistungsfähig. Da sind die meisten Menschen sofort anderer Meinung und wenn man sehenden Auges durch die Welt geht wird man zustimmen müssen. Trotzdem wird unterstellt, das träfe auf intellektuelle Leistung nicht zu, alle könnten Alles werden ..!
Als Biologe sage ich dazu:
Nein, das widerspricht der Grundordnung der belebten Welt.
Sie kennen sicher die Gauss'sche Verteilung, auch als *Glockenkurve* bezeichnet.
[WIKIPEDIA]
Alle biologischen Systeme lassen sich grundsätzlich darauf zurückführen. Für jede Eigenschaft gibt es Maxima und Minima, dazwischen eine unterschiedlich breite Zone der Verschiedenheit der Individuen.
Nehmen wir an, es geht um die Lesefähigkeit. Dann sagt diese Kurve es gibt Menschen die die Fähigkeit haben außerordentlich gut lesen können - und auf der anderen Seite der Kurve solche, die überhaupt nicht lesen können. Selbst wenn man die schlechtere Seite danach unterteilt was die Ursache für diese Schwäche sein kann (krankhafte oder genetische visuelle Störung, Unfähigkeit zum Transfer von der Form in Sprache, mangelhafte Zeichenerkennung bzw. Sinnhaftigkeit, etc.). Keine von diesen - hier nur beispielhaft benannten - Schwächen lässt sich durch pädagogische Maßnahmen beheben. Es sind unveränderbare genetische Eigenschaften dieser Person, so wie Haarfarbe oder Körpergröße.
Die Masse der Fälle liegt mittig, in einem Bereich von ± 34%, deckt demnach ca. 70% der Fälle ab. Zur besseren oder schlechteren Seite hin kommen dann je 13% guter oder minderer Leistung (die auf der schlechten Seite gerade noch ausreichend sein mag), und dann (-) die hoffnungslosen Fälle, bzw. die Überflieger (+).
Ganz knapp zusammengefasst:
68% brauchen eine gewisse Variation in der Schulung ihrer Fertigkeiten. 13% sind solche Fälle, bei denen 80% Aufwand gegenüber den 20% im Mittelfeld aufgebracht werden muss - und das ohne Aussicht oder Hoffnung auf Besserung. Etwas mehr als 2% sind total hoffnungslose Fälle.
Das Versprechen "Alle können Alles werden" ist vor dem Hintergrund dieser Schilderung absurd. Trotzdem wird seit Jahrzehnten an der Überzeugung festgehalten. Es wäre an der Zeit den Tatsachen in die Augen zu sehen und den stolzen Eltern zu vermitteln:
Nicht jedes Kind kann Professor werden - und möglicherweise ist das ihr Kind.
Die genetischen Grundlagen sind es, die das "Sein" bestimmen. Sie sind die Grenzen für das Individuum. Ein Trost mag sein, dass auch minderbegabte Menschen ein erfülltes Leben genießen können. Nur sollten deren Eltern nicht den Ehrgeiz haben vom Schulsystem das Unmögliche zu verlangen.