Kürzlich sah ich ein Video [Englisch] in dem festgestellt wurde, wie sich - schleichend - ein Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung abgespielt hat.
Ein Wandel von
" .. ich bin für mein Leben selbst verantwortlich .."
zu
" .. ich bin ein Opfer, man spielt mir übel mit .. "
"Hoppla!", dachte ich, "es kommt mir doch sehr bekannt vor, ist es nicht hierzulande genauso?"
Wir erleben seit Jahren, dass immer mehr Menschen Andere dafür verantwortlich machen wie ihr Schicksal sich entwickelt.
Wenn eine chronische Krankheit auftritt ist bestimmt der Stress bei der Arbeit Schuld, nicht der übermäßige Gebrauch von Alkohol & Zigaretten oder zu wenig Schlaf oder zu wenig körperliche Betätigung.
Daran, dass man nicht beruflich weiter kommt ist der Vorgesetzte Schuld, der nicht das Potenzial erkennt das man hat, oder es sind die missgünstigen Kollegen, die lästern und hetzen nicht etwa eigene Antriebslosigkeit, Desinteresse an Fortbildung oder schlicht Ablehnung von mehr Verantwortung.
Reicht das Geld nicht sind es die hohen Abzüge, die hohen Lebenshaltungskosten oder die unverschämten Kosten für die Altersvorsorge, nicht etwa mangelhafter Überblick über die eigenen Ausgaben oder Ausgaben für überteuerte, kurzlebige Konsumgüter um "IN" zu sein und mitsprechen zu können wenn es um das tollste Urlaubsziel geht.
Lebensziele nicht zu erreichen liegt an "Umständen", die nicht man selbst schafft, sondern die von dritter Seite aufgezwungen werden.
Schauen wir auf Gründe für Einschränkungen oder Misserfolg, so fällt auf:
Sehr, sehr selten werden falsche Entscheidungen, Fehler beim Verhalten oder schlechtes Wirtschaften genannt.
Man ist "Opfer" von irgendwelchen ominösen "Umständen".

[Wie bei allen pauschalen Beurteilungen ist gleichsinnig bei diesem Thema eine gewisse Unschärfe, eine mangelhafte Trennung zwischen Wollen und Können und/oder Unfähigkeit, sozialer Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Grenzen vorhanden; der Kern jedoch, die Ablenkung des Unmuts auf 'Umstände' greift aus meiner Beobachtung immer weiter um sich.]
Jein. Hier bin ich ein bisschen gespalten. Obwohl ich die Tendenz wie du sie siehst auch wahrnehme...
Es entwickelt sich schon ähnlich wie in einer Folge der jüngsten Staffel South Park dargestellt wurde - immer, wenn jemand nicht das kriegt, was er will, wird schnell irgendwas drastisches/überzogenes angeführt wie "What is this? Nazi Germany?", um damit jegliches Gegenargument gegen den Willen des- oder derjenigen totzuschlagen.
Es ist wie als wenn die Menschen mental darauf eingestellt wären, dass irgendein übergeordnetes Wesen gerecht verteilt und zuteilt. Als wäre das keine Aufgabe der Menschen, das selbst zu regeln. Handhabungsweisen dafür zu finden.
Auf der anderen Seite... sehe ich selbst auch zunehmend wie die Umgebung, in denen Menschen hier gehalten werden, im Detail zu einem gewissen Stück krankmachend ist. Und das sowohl mental als auch körperlich.
Krankmachend als auch schon die gesunde Entwicklung (also den gesunden Aufbau) verhindernd.
Ich erwähne mal aus Beispiel...
Ich kann zwar versuchen, mich ausgewogen zu ernähren, Pech habe ich dann aber trotzdem, wenn das Gemüse, was ich hier kriege, einerseits überzüchtete Massenware ist, die schon längst nicht mehr den Nährwertgehalt aus vergangenen Jahrzehnten hat, und zudem noch Pestizid-verseucht genug ist und ich nach 20 Jahren davon irgendwann erst das "Souvenir" in Form irgendeiner permanenten Krankheit habe.
Dagegen kann ich dann auch nicht viel machen.
Weniger Stress wegen der Arbeit z. B. lässt sich auch schwer reduzieren, wenn man in der Maschinerie drinnen steckt.
"Einfach mal so kündigen und sich was neues suchen" ändert oft leider das zugrundeliegende Problem nicht, weil inzwischen eine Form von "Leistungsbereitschaft" wie selbstverständlich vorausgesetzt wird, die an sich schon jenseits des gesunden Bereichs liegt.
Zudem - wer kündigt, sollte auch lieber gleich einen neuen Arbeitsvertrag schon inne haben, oder ein finanzielles Backup, denn bei Hartz hat man bei eigenmächtiger Kündigung erst mal 3 Monate Sperre. Kriegt nichts von denen und muss selbst klarkommen.
- Zumindest, wenn man mitdenkt, sieht da die Auswahl an Möglichketien wie man aus der Maschinerie, die einen krank macht, herauskommt, doch sehr beschränkt bis hin zu "nicht vorhanden" und "hoffnungslos" aus.
Das ist eine völlig andere Situation als in früheren Jahrzehnten, wo es noch ETWAS fairer zuging und man nicht von oben willentlich darauf abzielte, die Leute in einem sie krankmachenden Hamsterrad zu halten. Sie bis sie 40 oder 50 sind so zu verschleißen wie als wenn sie schon im gehobeneren Alter angekommen sind.
Anderes Beispiel wäre z. B. die Gesundheitsversorgung, wenn ich mit irgendeinem speziellen Problem konfrontiert bin.
Weite Fahrten zu den Spezialstellen, die mein Problem behandeln können (oder wenigstens qualitativ adäquat - manchmal ist es auch das, dass man qualitativ gute Versorgung erst in weiter weg liegenden Einrichtungen vorfindet), muss ich mir erst einmal leisten können.
Kann ich das nicht und habe auch nicht 5 Verwandte/Freunde/Bekannte, die mich stets umsonst oder zum Bekannten-Sparpreis dahin mitnehmen können, bleibe ich mit meinem Problem ungelöst sitzen oder muss mit schlechterer, wenn nicht sogar unpassender, Behandlungsqualität zubringen.
Also, darum bin ich in dem Punkt zwiegespalten.
Ja, es gibt einerseits dieses stetige Jammern auf hohem Niveau, wo einfach nur jemand nicht das strapazenlos kriegt, was er will (als wäre man bei Wünsch-dir-was) - auf der anderen Seite aber gibt es genauso die Umstände, die einen von außen krank machen, denen man aber recht wenig entgegensetzen kann, denen man recht wenig entfliehen oder direkt etwas an ihnen ändern kann.
Wie ich schon als Nachsatz unter dem Artikel schrieb: Etwas 'Unschärfe' ist bei solchen Überlegungen immer!
Das festgestellt bleibt diese unsägliche, sich wie ein Ölfilm auf Wasser ausbreitende Larmoyanz, die Projektion allen Übels auf anonyme 'Akteure', die einem das Leben vermiesen. Von den von dir genannten Killerargumenten einmal abgesehen gibt es tatsächliche Hürden - etwa wenn die Versorgung mit 'reinem' Essen nicht möglich ist da es so nicht zum Verkauf angeboten wird.
Die medizinische Versorgung geschieht ja schon seit Jahren an der Grenze des Chaos:
Da wurde es durch die CORONA Ereignisse nicht besser.
Das sind objektiv richtige, beweisbare und allbekannte Gegebenheiten.
Was ich ansprechen wollte sind diese anderen, vorgeschobenen "Bedingungen" - von denen stets geredet wird, die aber selten korrekt benannt werden können. Immer wenn ein Grund ausbleibt oder nicht definiert werden kann, wenn schwammige Bezeichnungen für Ursachen gegeben werden wird es 'verdächtig'!
Ich bin mal in meinem Fundus suchen gegangen, das Thema "Opferrolle" habe ich bei mir auch schon mal aufgenommen:
https://matrixmann.livejournal.com/319019.html
Die Richtung, die du meinst, erkenne und verstehe ich. Es ist diese neuere Angewohnheit, dass so viele stets die Schuld auf andere abwälzen, warum sie irgendetwas nicht tun oder nicht tun können. Und dabei geht es teilweise eigentlich um Trivialitäten als vermeintlichen Hinderungsgrund. Oder die Gruppe der vermeintlich Schuldigen wird so weit gefasst, dass man fragen muss "Geht es hier eigentlich noch um Hinderung oder nur um einen Grund, nicht tätig werden zu müssen? Sich von der Position verbal loszusagen, dass der Ball bei einem selbst liegt und man ihn einfach nur nicht spielen will? Schlichtweg, zu jammern und dafür Empathie/Aufmerksamkeit zu bekommen?".
Ich kann nur aus meiner Position heraus sagen, irgendwie sind einerseits die Dinge in den letzten Jahren noch einmal eine Stufe komplizierter geworden, auf der anderen Seite ist die Menge an Chancen und was man an Werkzeugen (auch mental) in die Hand gegeben bekommt, um Hürden überwinden zu können, weniger und schlechter geworden und die Fairness in all dem ist irgendwo sehr abhanden gekommen.
Es ist irgendwo nicht mehr so, dass man ein paar Bedingungen gestellt kriegt, die man erfüllen muss, um etwas zu bekommen, und dann geschieht das auch tatsächlich, sondern es hat sich dahingehend verschoben, dass man die genannten Bedingungen zwar erfüllen kann, aber man bekommt immer noch nicht was man will. Entweder durch Böswilligkeit/Unwilligkeit des Gegenübers, Willkür, oder weil es versteckte Bedingungen gibt, die die andere Fraktion vorausgesetzt hat, aber nicht benannt hat.
Mit anderen Worten: Man ist auf eine verlorene Mission geschickt worden. Man sollte sich zwar strecken, aber die andere Fraktion war eigentlich von vorn herein nicht gewillt, einem zuzugestehen, was man sich rechtmäßig verdient hat.
Solche Verschiebungen sind natürlich auf einem subtilen Level bemerkbar (auch wenn die Meisten es nicht aussprechen), das Frust-Level steigt dadurch, und es drängt sich zunehmend die Frage auf "Weshalb rühre ich mich denn überhaupt, wenn ich sowieso nicht das kriege, was mir als Gegenleistung versprochen wurde?".
Nachdem ich den verlinkten Artikel von dir gelesen habe:
Ist es nicht erstaunlich wie oft sich gleiche Gedanken in ganz verschiedener Lebenssituation berühren, ja völlig übereinstimmen? Die Einzigen, denen solche Überlegungen fremd zu sein scheinen sind unsere Politiker .... na, sagen wir: Manche unserer Politiker.
Was vor allem abhanden gekommen ist: Rücksichtnahme!
Vor Jahren - so erinnere ich mich - hat man noch daran gedacht wie sich das, was man tun will, auf Andere auswirkt. Heute heißt die Devise "Ich will!"
Fairness gibt es selbst im Sport nicht mehr, wieso sollte es da im täglichen Leben anders sein?
Diese Böswilligkeit habe ich persönlich nur einmal erlebt - das war beim letzten Arbeitgeber, und zwar durch zwei gewissenlose Personen aus der mittleren Führungsebene. Solche Menschen haben weder ein Gewissen noch zeigen sie irgendwelche normalen menschlichen Regungen wie Verständnis für Notlagen oder Mitgefühl. Glücklicherweise ist sowas eher selten.
Zutreffend ist wohl die Beobachtung, dass Abweichungen von der Norm immer häufiger werden, weil sich so viele verschiedene Normen hierzulande versammelt haben. In jedem Kulturkreis ist das Grundverhalten und Bestreben ein wenig verschieden - schon deswegen kann das 'Blümchen-Multi-Kulti' (Wir sind Alle so tolle Freunde) nicht ohne Leitlinien funktionieren die sicherstellen, dass der Grundkonsens der Gesellschaft nicht auf Abwege gerät. Damit meinen ich nicht diese Leitkultur von der Die Bayern sprechen, sondern ein an Gesetzen und Gebräuchen orientiertes Miteinander, in dem Besonderheiten ihre Grenzen dann finden, wenn das Allgemeinwohl leiden könnte.
Ich glaube, der Hauptaufhänger war für mich eine Phrase, die ich eigentlich mal aus einer South Park Folge hatte - wo der Witz ist, dass sich das Mädchen, das mit Cartman zusammen ist (der unattraktivsten Mistsau von den 4 Jungen), sich dahingehend verändert, dass sie so wie er wird - mit dem kleinen Unterschied, dass sie sich besser durchsetzen kann als er.
(Warte, ich habe die Szene gefunden, gibt es aber nur im O-Ton und nicht in der deutschen Fassung zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=lLtgTLehLXA)
Letztlich hat bei mir die Phrase gebohrt "wenn man sich stets zum Opfer macht, hat man immer einen Grund gemein zu sein".
Und genau das trifft es in so vielen Lebenslagen mit so viele verschiedenen Gruppen von Menschen in dieser Zeit, die die Opferrolle für sich auf Dauer pachten. Es ist wie ein ständiger Grund, der kein Enddatum hat, damit man auf andere einschlagen, sie schikanieren und ihnen ihnen Befehle erteilen kann wie sie sich bewegen sollen. Zu Leuten gemein sein und sie ständig bevormunden kann in übler und egoistischster Art und Weise.
Auf der anderen Seite betreibt man damit, neben diesem permanenten Arschloch-sein, wodurch einen keiner leiden kann, eine stetige Form der Selbsterniedrigung und Selbstentwürdigung.
Einfach ausdrückt: Man macht sich stets kleiner als man eigentlich ist.
Sowohl in Taten als auch eigentlichen Fähigkeiten.
Und genau dieses Herumgeheule, neben den passiv-aggressiven Gemeinheiten gegen andere, mag dann auch niemand. Es raubt anderen nur die Kraft und die Zeit. "Energievampir" wie man es sehr treffend nennt (ich glaube, aus der Psychologie kommend).
"Ich will" ist irgendwie zu seinem, trivial ausgedrückt, Zeitgeist-Ding verkommen. Menschen scheinen aktuell so gesinnt zu sein. Bzw. die Umstände formen sie auch dazu, so zu sein.
Ich könnte darüber wahrscheinlich ein bisschen anfangen, eine lange Kette auszurollen, was wohlmöglich diesen Effekt erzeugt, aber ich komme mir in letzter Zeit zu gestresst vor. Und ich weiß nicht, ob das sowieso überhaupt jemand hören will...
South Park kenne ich nur vom Namen und von ein paar Bildern daraus die als meme oder Ausschnitte verwendet wurden - die Hintergründe sind mir also fremd. Allerdings gibt es bei twitter - da bin ich sporadisch so ein-zweimal im Quartal - immer wieder Bezüge. Mit denen ich dann wenig anfangen kann.
".. ich weiß nicht, ob das sowieso überhaupt jemand hören will .." - wissen wir doch nie so genau, oder? Was aber bestimmt richtig ist: Zuviel Aufmerksamkeit und Aufwand erzeugt eine Bedeutung die das ganze Problem nicht haben sollte. Es reicht es zu benennen und dann ist es auch gut .... die Standpunkte sind ausgebreitet und diskutiert, mehr wäre da nicht angemessen. Ein bißchen so "Gehen Sie weiter hier gibt es nichts mehr zu sehen ...!"
Was ich davon letztlich mitnehme ist die verblüffende Einheitlichkeit (wenn auch bei mir etwas flacher angesetzt) der Gedanken zum Problem. Wo wir doch altersmäßig recht weit voneinander entfernt sind ;c)
...Ich glaube, wenn man mal mit einer Szene zu tun hatte, wo Viktimisierung mal eine Rolle gespielt hat, und sich irgendwann teilweise da sogar auch hineingesteigert wurde, um vor sich selbst eine Begründung darzubringen, weshalb man anderen etwas antun darf, dann lernt man ein bisschen was über solche Attitüde + ihr Verhalten.
"Schuld an der eigenen Misere sind immer nur die Anderen".
Das stimmt bis zu einem gewissen Grad
@matrixmann
Auch ich bin da zwiegespalten.
Hallo Herr Lang,
meinen Sie damit
"Ja, es sind immer Andere"
oder
"Nein, nicht Andere, man selbst hat am eigenen Schicksal schuld"?
Herr Lang hat gebeten folgenden Text als Antwort zu veröffentlichen
".. Hallo Herr von Sulecki,
ich habe mich wohl etwas missverständlich ausgedrückt. Ich meinte: "Nein, nicht Andere, man selbst hat am eigenen Schicksal schuld." Mit der Einschränkung, dass dies nur bis zu einem gewissen Grad stimmt.
Um direkt im Blog zu antworten, kann ich mich heute trotz mehrfacher Versuche nicht anmelden. .."
"Wenn man sich stets zum Opfer macht, hat man immer einen Grund, gemein zu sein." (zit. nach matrixmann, s.o.)
Das ist in der Tat eine zwar unausgesprochene, aber mittlerweile sehr verbreitete Einstellung, die sich vor allem auch in der Befürwortung von Racheakten ausdrückt. Darüber kann man nur entsetzt staunen, wie sich Leute gegenseitig darin bestärken, sich für etwas rächen zu wollen, bzw. sich anerkennend äußern, wenn jemand davon berichtet, wie er/sie sich gerächt hat. Man hält das geradezu für eine gesunde Reaktion. Äußerst bedenklich!